Wie ein 36-jähriger Sozialdemokrat in Sachsen-Anhalt Landrat wurde
Am Abend des 1. Dezembers twittert Klara Geywitz, inzwischen stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende: „69 Prozent sind ein Hammerergebnis. Toll gemacht.“ Zu diesem Zeitpunkt steht fest: Patrick Puhlmann wird neuer Landrat im Kreis Stendal. Er gewinnt die Stichwahl gegen den CDU-Amtsinhaber Carsten Wulfänger deutlich. Und das, obwohl im konservativ geprägten Landkreis in den 20 Jahren zuvor stets die CDU regiert hatte. Deswegen sagt der 36-Jährige rückblickend: „Man muss erst mal die Vorstellung erzeugen: Es ist nicht in Stein gemeißelt, dass der Landrat von der CDU kommen muss, nur weil es in den letzten 20 Jahren so war.“
Die Idee für Puhlmanns Kandidatur entsteht nach der Kommunalwahl Ende Mai, bei der die SPD im Landkreis Stendal mit etwa zehn Prozent nur fünftstärkste Kraft im Kreistag wird. Als Parteikollegen zu ihm sagen „Patrick, es wäre schön, wenn du das machst“, ist der 36-Jährige anfangs skeptisch. Nach Gesprächen mit anderen Landräten und seiner Frau signalisiert er zehn Tage später Bereitschaft und gibt Ende Juli seine Kandidatur bekannt.
Weltoffen mit Pfeil und Bogen
Es bleiben nur etwas mehr als drei Monate bis zum Wahltermin. Im Rennen gegen einen Amtsinhaber von der CDU in einem konservativ geprägten Landkreis. Der gesamte Landesverband Sachsen-Anhalt hat etwa 3.500 Mitglieder. So viele wie in Westdeutschland mancher Unterbezirk. Die Strukturschwäche gleichen Puhlmann und sein Team dadurch aus, dass er als gemeinsamer Kandidat von SPD, Linken und Grünen antritt und aus allen drei Parteien Unterstützung erhält.
Puhlmanns Wahlkampfslogan „Jung. Dynamisch. SDL. Zukunft machen“ entsteht beim Kaffee trinken mit seiner Frau Margaret. Der 36-Jährige, in Sachsen-Anhalt aufgewachsen, zwischendurch ein Jahr in den USA, später zum Zivildienst in Frankreich und zum Studium in Jena, präsentiert sich bewusst anders als der Amtsinhaber. Er will mit Weltoffenheit punkten, als dynamischer Querdenker. In einem Wahlkampfvideo tritt er im legeren Hemd auf, mit herunter gekrämpelten Ärmeln und Pfeil und Bogen. Damit trifft er bei den Wählern in der Altmark offenbar ins Schwarze.
Ein Enkel wirbt für ihn
Denn schon im ersten Wahlgang fehlen Puhlmann nur gut 1.000 Stimmen zur absoluten Mehrheit. Mit 46,9 Prozent schafft er sich einer hervorragende Ausgangsposition für die zweite Runde. Ein Ergebnis, das für Puhlmann erst einmal überraschend kommt. Doch er kämpft weiter, drei Wochen lang bis zur Stichwahl, und erhält viel Zuspruch: „Eine Welle von Zuspruch hat mich und alle, die dabei waren, durch die letzten Wochen getragen.“ Es sei ein fantastisches Gefühl gewesen, wenn sich beim Einkaufen, beim Vorbeigehen an
Schulfenstern oder an der Imbissbude Menschen umdrehten ihm alles Gute wünschte. Puhlmann berichtet davon, dass ein Ehepaar auf ihn zukam und ihn kennenlernen wollte, weil ihr Enkel gesagt habe, dass sie ihn wählen sollten.
Beflügelt davon gewinnt Puhlmann trotz der geringeren Wahlbeteiligung in der Stichwahl noch einmal etwa 2.000 Stimmen dazu. Als die Hälfte der Stimmen ausgezählt ist, wird ihm klar, „dass das jetzt klappt“, dass er ab dem 17. März die nächsten sieben Jahre als Landrat amtieren wird. Drei Monate sind es noch, bis er sein neues Amt beginnt. Bis Ende Januar will Puhlmann in seinem alten Beruf bei der Borghardtstiftung in Stendal als Bereichsleiter in einer Einrichtung für Menschen mit Behinderung arbeiten. Anschließend will er sich intensiv auf seine künftigen Aufgaben vorbereiten, aber auch die verbleibende Zeit zur Erholung nutzen: „Urlaub ist ein wesentlicher Faktor. Denn ich möchte nicht ausgelaugt anfangen, sondern mit frischer Kraft.“
Ein beispielhaftes Bündnis
Mit frischer Kraft hat er auch die Wahl gewonnen. Denn Puhlmann trat zwar bereits 2002 in die SPD ein und gründete einen Juso-Kreisverband. Doch so wirklich politisch aktiv wurde er in der Partei erst vor sechs Jahren mit seiner Rückkehr nach Sachsen-Anhalt. Seit zwei Jahren ist er Ortsvereinsvorsitzender und stellvertretender Kreisvorsitzender. Im Sommer übernahm er zusätzlich den Fraktionsvorsitz der Sozialdemokraten im Kreistag. Das gemeinsame Vorgehen von SPD, Linken und Grünen bei der Landratswahl hält Puhlmann für beispielhaft: „Wenn es gelingt, einen Kandidaten zu finden, von dem man überzeugt ist, dass er der Richtige ist, kann er auch andere Parteien überzeugen. Dann kann man eben auch vermeintlich schwarz dominierte Kreise zurückgewinnen.“
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo