Was die SPD von der Minderheitsregierung Höppner in Sachsen-Anhalt lernen kann
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Fünf Jahre nach der Wende war Sachsen-Anhalt im Jahr 1994 das Land mit der stärksten De-Industrialisierung, strukturell waren an die 40 Prozent arbeitslos, der Erhalt industrieller Kerne wie im Chemiedreieck um Bitterfeld verschlang Milliarden, schuf aber kaum Jobs. Die CDU-FDP-Regierung hatte Milliarden verschleudert und zwei Ministerpräsidenten verschlissen, der Frust im Land war groß, die PDS lag über 20 Prozent. Die SPD, angeführt von ihrem Fraktionschef Reinhard Höppner, wollte die Regierung übernehmen.
Offensiv gegen die Blockflöten-CDU
Der Mathematiker und engagierte Christ Höppner hatte als Vizepräsident der ersten freien Volkskammer 1989/90 viel Ansehen erworben. Er war ein demokratischer Sozialist ohne Berührungsängste mit den Postkommunisten, was ihn vielen Westsozialdemokraten – zu Unrecht – verdächtig machte. Höppner stellte seine 6.000-Mitglieder-Partei offensiv gegen die starke Ex-Blockflöten-CDU, verbündete sich mit den winzigen Grünen um Bürgerrechtler Hans-Jochen Tschiche und lag nach engagiertem Wahlkampf im Juni 1994 zusammen mit Grün 39 zu 36 Prozent vor der CDU.
Beherzt ging er auf die PDS zu und sicherte sich in vielen Gesprächen den Respekt ihrer Führung, sowie deren Stimmen für den entscheidenden dritten Wahlgang als MP. Von da ab stellten SPD und Grüne mit wenigen hundert Aktiven die gesamte Regierung plus relative Landtagsmehrheit. Wegen der sturen CDU-Ablehnungsfront, gab es nie freies Aushandeln von Mehrheiten, die kamen meist von der PDS.
Rote-Socken-Kampagne aus dem Westen
Die Haushalte handelte SPD-Geschäftsführer Bullerjahn mit dem PDS-Geschäftsführer aus. Die Regierung versuchte, ihr Verhältnis zur Wirtschaft zu entspannen, in dem sie Wirtschaftsminister aus dem Westen berief. Der Sozialflügel machte mit der PDS im Rücken teure Sozialpolitik, z.B. beim Kinderbetreuungsgesetz. Überhaupt stärkte die Koalition Kitas, Schulen, Kliniken, Arbeitnehmer…
Im Westen herrschte kurz nach der Wende, angesichts ständiger Stasi-Enthüllungen, helle Empörung. Die CDU, die bis 1989 der SED treu gedient hatte, verließ bei PDS-Reden den Saal und CDU-General Hinze startete „Rote-Socken-Kampagnen“.
Dresdner Erklärung: Nein zu PDS-Kooperation
Leider ließ sich die Spitze der West-SPD gegen die „roten Ossis“ benutzen und erzwang im Herbst 1994 die Dresdner Erklärung, die jede Kooperation mit der PDS verbot. Dies wurde auch vom starken rechten Flügel der Landes-SPD mitgetragen, der gern mit CDU/FDP gegen die PDS stimmte.
Mühsam fingen Höppner und der wichtige Landes- und Fraktionsvorsitzende Rüdiger Fikentscher ihre Rechten wieder ein, konnten aber nicht verhindern, dass der soziale Flügel immer teurere Absprachen traf. Die Verschuldung nahm zu, die Koalition fand kein Mittel gegen die Arbeitslosigkeit. So wandte sich vorhandener Frust gegen die neue Regierung.
Bundes-SPD blieb reserviert
Dazu trug bei, dass die Verwaltung überwiegend aus konservativen Beamten aus Niedersachsen bestand. Die SPD wiederum hatte wenige hundert Aktive ohne jede politische und administrative Erfahrung. So scheiterten Reformen in der Bildung und andernorts schon handwerklich. Da sich die Zusammenarbeit mit der PDS allmählich professionalisierte, besserte sich die Lage zeitweise, ein Misstrauensvotum der CDU konnte 1996 abgewehrt werden. 1998, als die DVU aus dem Stand auf 13 Prozent kam und der CDU viele Stimmen nahm, holte die SPD gar alle Direktmandate bis auf eines.
Aber der Sieg trug den Keim des Abstiegs in sich: Die stets schwachen Grünen flogen aus dem Landtag, die Tolerierung durch die PDS musste formalisiert werden, der rechte Flügel wehrte sich dagegen immer heftiger und die Unzufriedenheit im Land nahm zu. Auch die Bundes-SPD blieb auf Reserve, obwohl Fraktionschef Rüdiger Fikentscher den Bundesparteirat leitete und 1998 in Mecklenburg-Vorpommern und 2001 in Berlin rot-rote Bündnisse entstanden.
Rot-Rot mehrheitlich nicht gewollt
2002, im absoluten Popularitätstief von Rot-Grün im Bund, wurde die SPD in Sachsen-Anhalt krachend abgewählt und landete in der Opposition. Noch als Reinhard Höppner, der sich nach 2002 aus der Politik zurückzog, 2014 an Krebs starb, erwähnte SPD-Bundesvorsitzender Sigmar Gabriel die Kooperation mit keinem Wort. Höppner selbst hatte eingeräumt, Rot-Rot sei auch im Land mehrheitlich nicht gewollt gewesen. Über den ideologischen Hickhack um Rot-Rot ging verloren, dass die Regierung Höppner dem Land nach chaotischen Anfängen immerhin etwas wie Ruhe und ein soziales Gewissen gegeben hatte.
Als die SPD 2006 mit Finanzminister Jens Bullerjahn in der Rolle des Juniorpartners der CDU wieder in die Regierung kam, verstand der sie als die bessere Spartruppe. Später gab es Konflikte um den Kurs zwischen ihm und der Vorsitzenden Katrin Budde sowie Probleme mit der Abgrenzung nach rechts: So verließ der OB der Landeshauptstadt Magdeburg ausgerechnet im Wahljahr die Partei, die ihm offenbar zu flüchtlingsfreundlich war. Die Wahl 2016 ging gründlich schief, die SPD wurde von der AfD überholt und halbiert. Da hatte sie mit der SPD aus den Zeiten des Magdeburg Modells aber nur noch wenig gemein.
Feste Tolerierung
Für den Bund ist aus dem „Modell“ wenig zu lernen: Es war keine „echte“ Minderheitsregierung, sondern eine regelmäßige Tolerierung durch eine Fraktion. Zudem sind die Rahmenbedingungen und Zuständigkeiten zu unterschiedlich. Lernen kann man nur, das man viel erreichen kann, wenn man selbstbewusst und eigenständig handelt, viele Gespräche führt – und andere einen unterstützen.
Literaturhinweise:
Reinhard Höppner, Acht unbequeme Jahre. Inneneinsichten des Magdeburger Modells, Mitteldeutscher Verlag, Halle 2003
Reinhard Höppner und Egon Bahr, Die SPD und DIE LINKE. Einsichten aus Ost und West, vorwärts buchverlag, Berlin 2010
war von 1994 bis 1998 Büroleiter und Persönlicher Referent des SPD-Fraktionsvorsitzenden Rüdiger Fikentscher.