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Vor 25 Jahren: Heide Simonis wird erste deutsche Ministerpräsidentin

Kaum zu glauben: Was längst Normalität ist, war vor 25 Jahren eine Sensation. Heide Simonis wurde im Mai 1993 in Schleswig-Holstein zur ersten Ministerpräsidentin gewählt. In der SPD ist sie bis heute unvergessen.
von Renate Faerber-Husemann · 23. Mai 2018
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Häufig in ihrem Leben war sie „die Jüngste“ oder „die Erste“. Sie war bei ihrem Einzug in den Bundestag 1976 die jüngste weibliche SPD-Abgeordnete. Lange Zeit war sie die einzige Frau im Haushaltsausschuss, wo ihre scharfe Zunge ebenso gefürchtet war wie ihr umfangreiches Fachwissen.

Am 4. Juli wird Heide Simonis 75

Vor 30 Jahren, am 31. Mai 1988, holte Ministerpräsident Björn Engholm sie als Finanzministerin nach Schleswig-Holstein. Auch das war neu, denn lange Zeit waren Frauen in Regierungsverantwortung vor allem für Soziales und Familie zuständig. Als Engholm im Mai 1993 zurücktrat, wurde sie seine Nachfolgerin in Kiel.

Lange blieb sie die einzige Frau unter den deutschen Ministerpräsidenten. „Unter Männern“ hat sie deshalb ihr 2003 erschienenes Buch genannt, in dem sie auf die Jahrzehnte in der Bundes- und Landespolitik zurückblickte. Am 4. Juli wird sie 75 Jahre alt.

Glückliche Jahre als Abgeordnete in Bonn

Vielleicht waren ihre glücklichsten politischen Jahre jene in Bonn. Wenn sie im Bundestag am Rednerpult stand, gern im Hosenanzug, was damals noch unüblich war, füllte sich der Saal. Sie war eine glänzende Debattenrednerin, schlagfertig, voller Humor und sie scheute keinen Konflikt. „Ich bin eine Kämpfernatur“, sagt sie über sich selbst, und gerade in ihren späteren Jahren brauchte sie die auch. Sie kämpfte gegen Brustkrebs und musste sich mit der unheilbaren Parkinson-Krankheit abfinden.

Vor allem aber erlebte die Ministerpräsidentin im März 2005 die ultimative Demütigung. Sie war besonders schmerzhaft, weil sie aus den eigenen Reihen kam – und weil Simonis gegen einen bis heute anonym gebliebenen Feind eben auch nicht ankämpfen konnte.

Demontage vor laufenden Kameras in Kiel

Millionen Menschen saßen vor den Fernsehern und erlebten live mit, wie die beliebte und von vielen bewunderte Politikerin auf offener Bühne demontiert wurde. Vier Wahlgänge hielt sie durch bei der Wiederwahl zur Ministerpräsidentin und immer fehlte eine Stimme!

Wer aus den eigenen Reihen zum „Heide-Mörder“ wurde, ist bis heute ein Geheimnis. Nicht nur die auf solch schäbige Art abgewählte Ministerpräsidentin stürzte in eine tiefe Krise, sondern die gesamte SPD. Bis heute ist schwer zu begreifen, warum ausgerechnet Heide Simonis das Opfer eines solchen Racheaktes wurde.

Lockere Sprüche, scharfe Zunge

Wer sie noch aus ihren Bonner Zeiten und ihren Jahren in Regierungsverantwortung in Schleswig-Holstein kennt, erinnert sich an eine strahlende Frau mit einem ansteckenden Lachen. Sie hatte eine Begabung zur Freundschaft und viele mochten sie. Ihre Offenheit ließ ihre politischen und privaten Freunde allerdings schon damals fürchten, sie werde sich irgendwann einmal um Kopf und Kragen reden.

Fast ist ihr das auch gegen Ende ihrer Bonner Zeit gelungen: Viele in der SPD murrten damals leise und im privaten Kreis über ihren doch von allen verehrten Vorsitzenden Willy Brandt, weil er eine Frau zur Pressesprecherin machen wollte, die von der SPD so gar nichts verstand. Nur Heide Simonis machte ihrem Unmut öffentlich Luft, die anderen beließen es bei Schimpfereien in der Kneipe. Als Willy Brandt kurze Zeit später zurücktrat, galt Heide Simonis als die Schuldige und viele Genossen rückten von ihr ab.

Humor und Kompetenz

Wer heute in ihrem vor 15 Jahren erschienenen Buch „Unter Männern“ blättert, versteht besser, was sie ihr Leben lang angetrieben hat: Lange Strecken ihrer Kindheit verbrachte sie wegen schlimmer Asthmaanfälle in Kinderheimen. So spielte sie in der Familie zwischen dem sanften Vater und der Mutter, von der sie sich stets „gegängelt und gedeckelt“ fühlte, nur eine Gast- und Außenseiterrolle. Vielleicht wuchs damals schon ihr Bedürfnis, allen zeigen zu wollen, was in ihr steckte.

Nach der schmerzhaften und demütigenden Wahlniederlage 2005 hat sie sich ins Privatleben zurückgezogen. 2014 machte sie ihre Parkinson-Erkrankung öffentlich. Doch bis heute ist sie im Gedächtnis all jener geblieben, die – ob in Bonn oder in Kiel – mit ihr zu tun hatten. Mit einem Lächeln denken Politikerkollegen und Freunde an ihre verrückten Hüte und die vielen Ringe an den Fingern, an ihre Begeisterung für Flohmärkte und an ihre Spottlust, vor allem aber an ihre unbestreitbare Kompetenz.

 

Autor*in
Renate Faerber-Husemann

(† 2023) war freie Journalistin in Bonn und Erhard-Eppler-Biografin.

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