Parteileben

Von Input, Output und programmatischer Innovation

von Thomas Hörber · 15. Juni 2009
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Funktion
Gleich zu Beginn stellt Alexander Stock einen wichtigen Unterschied zwischen Jugendorganisationen und den zugehörigen Parteien klar: nämlich, dass in den Parteien der Output - sprich die Besetzung von Parteifunktionen und Mandaten - im Vordergrund steht, während bei den Jugendorganisationen der Input von politischen Inhalten wesentlich wichtiger ist. Damit lässt sich bekanntes Rollenverhalten erklären: Die Jungendorganisationen befinden sich in einem permanenten Erneuerungs- bzw. Revolutionsprozess. Sie und tendieren deshalb oft zu politischen Extremen, nach Stock "programmatischer Experimentierfreudigkeit". Die Parteien hingegen versuchen ihre charakteristischen Werte und Politikinhalte in tatsächliche Politik umzusetzen. Dies ist eher ein Prozess der Vermittlung und Moderationen in der Partei selbst, aber auch dem Wähler gegenüber. Aufgrund dieser gegensätzliche Schwerpunkt- und Zielsetzungen streiten die Jugendorganisationen nicht selten mit ihrer Mutterpartei, was der Autor positiv als ihre "programmatischen Innovationsfunktion" benennt.


Organisation
Die Organisationsstrukturen der Jugendorganisationen sind durchaus unterschiedlich. Die Grüne Jugend ist eine selbstständige Vereinigung, die Jusos sind eine Arbeitsgemeinschaft, die Junge Union ist formell unabhängig von der Mutterpartei und die Julis sind eine Organisation mit besonderen Rechten ohne rechtliche Anbindung an die FDP.
Die Jugendorganisationen erhalten staatliche Mittel auf der Basis eines Finanzschlüssels, dem speziell die Mitgliederstärke zu Grunde liegt. Hieraus ergibt sich ein Eigeninteresse an der Neumitgliedergewinnung, das natürlich auch von den Mutterparteien geteilt wird, da die jungen Mitglieder ab einer gewissen Altersgrenze in die Hauptpartei überführt werden (Jusos, Junge Union, Julis: 35 Jahre, Grüne Jugend: 28 Jahre). Diese Rekrutierungsfunktion ist vor dem Hintergrund des Mitgliederschwundes bei allen Parteien - außer den Grünen - sehr wichtig, nicht zuletzt, da der Alterungsprozess in den Parteien junge Menschen eher abschreckt.


Inhalte
Eine weitere interessante Erkenntnis ist, dass die meisten Nachwuchsorganisationen keine aktive Mitgliederwerbung betreiben Sie verlassen sich vielmehr auf die Attraktivität ihre Inhalte und im hoffen, darüber neue Mitglieder anzuziehen.
Es gibt allerdings in allen Parteien und Nachwuchsorganisationen Versuche, die Eintrittshürde herabzusetzen. Die Grüne Jugend macht dies mit einer "Schnuppermitgliedschaft", die Jusos über eine von der SPD unabhängige Juso-Mitgliedschaft, für 4 Jahre kostenlos und mit vollen Rechten. Aber allein die CDU hat zwei Mitgliederbeauftragte im Landesvorstand die sich mit Imageverbesserung und Kommunikation zu diesem Zweck auseinandersetzen. Die anderen Parteien und ihre Jugendorganisationen lehnen eine Imagekampagne bewusst als zu oberflächlich ab. Sie versuchen mit Seminarangeboten, z.B. in den politischen Stiftungen, Überzeugungsarbeit vor Ort, z.B. Infostände im Wahlkampf, und der Teilnahme an themenorientierten Veranstaltungen, z.B. der Jusos am Christopher Street Day, der wohl wie kein anderes Event für eine bunte Gesellschaft steht, ihre politischen Inhalte glaubhaft zu vermitteln und so für neue Mitglieder interessant zu werden.


Neue Medien
Jenseits dieser traditionellen politischen Arbeit hat sich Kommunikation und damit die Vermittlung von Inhalte jedoch drastisch verändert. Massenmedien machen Informationen allgemein zugänglich. Parteiinterna erreichen somit die Öffentlichkeit oft schneller als die Mitglieder. Für die politischen Jugendorganisationen ist eine der wichtigsten Konsequenzen der Mediengesellschaft die absolute Notwendigkeit einer Internetpräsenz. Viele Informationen, wie Parteiprogramme, werden von Jugendlichen über die Homepage abgefragt. Deshalb sieht der Autor die Nutzung dieser neuen Kommunikationswege als absolute Grundvoraussetzung für die Neumitgliederwerbung und Mitgliederbindung. Vieles verändert sich im Leben von Teens und Twens. Der Zufall oder persönliche Freundschaften waren stets genauso ein Grund für politische Aktivität wie Inhalte. Das Neue heute ist, dass junge Menschen einen erheblichen Teil diese persönlichen Entwicklungsprozesse im Netz erleben. Dieses ersetzt immer öfter die Pfadfinderatmosphäre politischer Jugendorganisationen. Politische Arbeit wird damit zu einem Freizeitangebot unter vielen - nicht nur im Netz.


Resumé
Das macht die Neumitgliederwerbung nicht einfacher. Einige altbewährte Herangehensweisen bleiben aber weiterhin Erfolg versprechend. So genannte Jugendvorfeldorganisationen, z.B. Kolping Jugend, Falken, schaffen nach wie vor Zugang zu politisch interessierten Jugendlichen. Mitgliederwerbung funktioniert, wenn die Partei konkrete Probleme vor Ort aufgreift, die die Jugendlichen interessieren, oder wenn im Familien- oder Freundeskreis Parteimitglieder vorhanden sind, die als Vertrauenspersonen und Ansprechpartner fungieren.
Das setzt zufriedene Mitglieder voraus. Andernfalls kehrt sich der Effekt um und Politikverdrossenheit setzt sich in Mitgliederschwund fort. Dies passiert nicht sofort. Ebenso wenig wie eine Parteimitgliedschaft normalerweise von Kosten-Nutzen Erwägungen geprägt ist. Auf Dauer aber muss eine Partei die Werte und Inhalte ihrer Mitglieder glaubhaft vertreten, womit sich der Kreis zur Mitgliederwerbung mit Werten und Inhalten, wie sie die meisten Jugendorganisation vertreten, wieder schließt.
Der Autor bemerkt hier richtig, dass deshalb die Mitglieder regelmäßig gefragt werden müssten, welche Politikinhalte sie von ihrer Partei vertreten sehen möchten. Mit Ausnahme der Jungen Union hat das aber keine der Jugendorganisationen getan. Und das wäre nun wirklich eine Aufgabe, für die das Internet prädestiniert ist. Ob - wie vom Autor vorgeschlagen - ein innerparteiliches Anreizsystem zur Mitgliederwerbung erfolgreich wäre, darf bezweifelt werden. Schließlich ist eine Parteimitgliedschaft keine Kundekarte bei einem Supermarktdiscounter. Dennoch fasst dieses Buch erstmals strukturiert zusammen, was politisch Aktive instinktiv wissen. Dafür ist dem Autor zu danken.

Thomas Hörber
ESSCA, Angers (Frankreich)

Alexander Stock, Neumitglieder im Visier - Das Rekrutierungsmanagement der politischen Nachwuchsorganisationen am Beispiel der NRW-Landesverbände, Tectum Verlag, Marburg 2008, ISBN 978-3-828897595, 163 Seiten

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