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Von „digitaler Bohème“ bis Datenklau-Debatte

Postindustrielles Zeitalter, digitales Zeitalter – oder beides? Und wie kann die Antwort der Politik aussehen? Über diese Fragen diskutierten SPD-Vorsitzende Andrea Nahles und Wissenschaftler Timo Daum bei der Auftaktveranstaltung zur 10-teiligen Reihe „impuls!“ im Willy-Brandt-Haus
von Johanna Schmeller · 14. Juni 2018
Diskussionsveranstaltung im Willy-Brandt-Haus
Diskussionsveranstaltung im Willy-Brandt-Haus

An Schlagworten mangelt es nicht an diesem Abend. Die „digitale Elite“ stehe auf der einen Seite, also Technikexperten aus dem Silicon Valley und von anderswo, wo der Alltag geprägt ist von „Big Data“ und von „coding“, wo also programmiert und digitalisiert und damit sehr viel Geld gemacht wird. Große Konzerne hätten diesen Bereich für sich monopolisiert, google wird genannt, Facebook natürlich, Amazon, aber auch Immoscout und andere Branchenführer, die alle eins seien, nämlich – wieder so ein Schlagwort – „Datenkraken“.

Digitale Elite, digitale Bohème

Die „digitale Bohème“ stehe auf der anderen Seite, also jene, die sich in der digitalen Welt fast besser zurechtfinden als in der realen. Die Soziale Medien für sich nutzen, mit jedem Klick das System mit eigenen Daten speisen. Die in und mit der digitalen Welt aber auch Geld verdienen – nur eben vergleichsweise wenig, und die meist als Freiberufler unternehmerische und soziale Risiken tragen. Kurz: Was an diesem Abend im Willy-Brandt-Haus verhandelt wird, ist nicht weniger als die Gefahr einer Spaltung der Gesellschaft. Wer nicht mitschwimmt im Datenstrom, wird abgehängt und bleibt zurück. Oder?

Mit wachem Blick hat der Wissenschaftler Timo Daum, Autor des Buches „Das Kapital sind wir. Zur Kritik der digitalen Ökonomie“, eine Veränderung der Arbeitswelt festgestellt.

Er spricht bei der Auftaktveranstaltung zur insgesamt 10-teiligen Reihe „impuls!“ über digitalen Kapitalismus. Prinzip der Reihe ist es, die Zivilgesellschaft und die Bundespolitik in Dialog zu setzen. Nach Daum äußert sich die SPD-Parteivorsitzende Andrea Nahles. Und dann geht das Wort ans Publikum.

Welche Aktualität haben die Thesen von Karl Marx, umgelegt auf die digitale Welt? Wie verändert sich die Definition von Arbeit? Welche Jobs bringt der digitale Kapitalismus? Greifen die klassischen sozialen Sicherheitsmechanismen wie Arbeitslosenversicherung und Rentenversicherung noch?

Postindustrialismus oder digitaler Kapitalismus?

In der postindustriellen, datenkapitalistischen Welt werden Daten zum zentralen Rohstoff, der über gesellschaftlichen Status zu entscheiden vermag, versucht sich Daum an einer Deutung. Er beschreibt eine Art neues Prekariat  – häufig Freiberufler oder Ich-AGs – und deren neue Subjektivität als „Solo-Kapitalisten“. Risikobereitschaft wird in dieser neuen Arbeitswelt zur Ressource, wird mit Freiheit „entlohnt“, aber auch mit finanzieller Unsicherheit „bezahlt“.

Plattformen des digitalen Kapitalismus – wozu Daum die Sozialen Medien zählt –  machen den Nutzer zum Produzenten, zum Zulieferer, der Datenmengen für die Plattformbesitzer erzeugt.

Diese neue Struktur führe dazu, dass die klassischen sozialen Sicherungssysteme nicht mehr passen.

Die Debatte um ein allgemeines Grundeinkommen ergänzt Daum um den Vorschlag eines bedingungslosen Grundauskommens. Damit könnten Arbeit und Einkommen entkoppelt werden, sodass „die Arbeit, die Menschen Würde gibt, von Tätigkeiten unterschieden ist, die nur dem Einkommen dienen“.

Aufbruch in die neue Arbeitswelt

Hier widerspricht die SPD-Parteivorsitzende Andrea Nahles scharf: Man dürfe Einkommen und Arbeit nicht entkoppeln.

Aber auch Nahles spricht von einer „Goldgräberstimmung“, die mit der Zeit nach der industriellen Revolution vergleichbar sei, von „unfassbaren Gewinnen“, die auf durch ursprünglich „geniale Ideen“ entstandene Monopolstrukturen und eine „krasse wirtschaftliche Machtkonzentration“ folgten.

Jedoch: „Auf der anderen Seite standen (damals, Anm. d. Red.) Verelendung, entwürdigende Abhängigkeiten und katastrophale Arbeitsverhältnisse. Erst die Selbstorganisation der Arbeiterinnen und Arbeiter setzte der Ausbeutung 'des Menschen durch die Menschen' (Marx) wirkungsvoll etwas entgegen“, so Nahles. Tarifverträge, Mitbestimmung, Sozialversicherungen und Kündigungsschutz seien die Errungenschaften der Arbeiterbewegung gewesen. „Heute erleben wir Ähnliches. Wieder gibt es geniale Ideen, Produkte von großen Internetkonzernen prägen heute unseren ’way of life'“, so Nahles.

Aufbruch von Monopolen

Amazon, Alphabet (google), Apple, Microsoft und Facebook erzielten Gewinne, die in keinem Verhältnis zu den Rechten ihrer Arbeitnehmer stünden. „Die großen Internetgiganten konzentrieren fast 70 Prozent des Umsatzes aller börsennotierten US-Internetfirmen auf sich.“ Aus kleinen kalifornischen Start-ups seien innerhalb kürzester Zeit Konzerne mit erheblichem politischen Einfluss geworden

Wo allerdings die Grenzen zwischen Produzenten und Konsumenten von Daten verschwimmen, stehe die Politik „vor der Aufgabe, den Menschen die Sicherheit, die Wertschätzung und die Selbstbestimmung des eigenen Lebens zurückzugeben“.

„Primat der Politik“

Die soziale Marktwirtschaft habe für eine gerechtere Wohlstandsverteilung und die Minimierung sozialer Risiken gesorgt. Jetzt brauche es neue Regeln, einen „Primat der Politik“, wie auch SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil betont. Er spricht von einer „Rückeroberung von Räumen“ in einer Zeit, in der Daten Macht bedeuten. Wie man diese Macht nun demokratisiere, bleibe eine zentrale Frage für jede Partei: „Solidarität ist in der digitalen Demokratie besonders nötig“.

Durch die Digitalisierung hätten gesundheitsschädliche Arbeiten abgenommen, das Bedürfnis nach Weiterbildung habe aber zugenommen, fasst Nahles zusammen. Ihr Vorschlag: Um Monopolstrukturen entgegenzuwirken, sei eine gesetzliche Pflicht zum Datensharing für die digitale Elite nötig – und ebenso die Anpassung des Sozialsystems an die digitale Bohême, insbesondere der Rentenversicherung.

„Black box“ Datenalgorithmus

Wie groß die Verunsicherung ist, zeigen Stimmen aus dem Publikum. Die Daten-Algorithmen werden als unberechenbare „Black Boxes“ beschrieben. Man brauche keinen neuen Kapitalismus zu erfinden: Daten hätten nur Wert, wenn man sie kommerzialisiere.

Eine andere Stimme kritisiert den Vergleich zwischen Datenkapitalismus und auf Rohstoffen basierendem Welthandel: Daten könne man im Unterschied zu Öl und Gold kopieren. Diese Vervielfältigungsmechanismen müssten politisch reguliert werden. Zu tun gebe es also genug für die SPD, begonnen damit, bestehende Gesetze anzuwenden.

„Die Zukunft ist digital“

Jana Pfenning, 22 Jahre, studiert an der FU und arbeitet nebenbei bei einem großen Digitalkonzern.

Eindringlich bringt sie ihre Fragen an die Politik vor: „Wie können wir in der SPD es schaffen, dass die jungen Stimmen lauter werden, also die, die von der Digitalisierung abhängig sind, aber eine solidarische Digitalisierung haben möchten?“

Auf der Bühne säßen jedenfalls „nur weiße Männer über 50“, kritisiert sie – aber die Digitalisierung gehe gerade sie selbst etwas an: „Meine Zukunft sehe ich digital. Und meine Arbeit sehe ich digital.“ Gehört Jana damit zur „digitalen Bohème“? Oder vielleicht schon zur „digitalen Elite“? Ganz klar: Jana gehört zu einer Generation, die jetzt gehört werden möchte.

 

Timo Daum: Das Kapital sind wir. Zur Kritik der digitalen Ökonomie. Edition Nautilus, Hamburg. 272 Seiten, 18 Euro.

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