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Die SPD in Nahaufnahme: Lutz Hachmeister hat 18 Monate lang Sozialdemokraten aufmerksam beobachtet: beim Wundenlecken nach dem Wahldesaster von 09, beim Streiten und beim Grillen und beim Versuch, wieder den Kopf in die Höhe zu recken. Entstanden ist eine sehenswerte Fernsehdokumentation.

90 Minuten Parteileben: ist das auszuhalten? Ist die SPD nicht schon selbst langweilig genug? Und nun gar ein Fernsehfilm über eine Partei, die viele abgeschrieben haben?

Verzweifelt und irritiert, aber auch trotzig
Ja, wenn man Bilder findet wie Hachmeisters Kameraleute. Wenn man so nah rangelassen wird wie sein ARD-Team. Wenn eine Partei verzweifelt und irritiert, aber gleichzeitig auch trotzig genug ist, ihr Innerstes nach außen zu kehren.

Das schlechteste Wahlergebnis seit Menschengedenken, verunsicherte Funktionäre, im halben Dutzend verschlissene Vorsitzende, eine weithin hämische Presse, Schlagzeilen, die selten von anderem künden als von "Streit in...", "Streit um...": kann ein Film über eine derart gebeutelte Partei anderes bewirken als Schadenfreude beim Gegner?

Der Regisseur hält sich dezent zurück
Ja, wenn sich der Dokumentator dezent zurückhält wie Hachmeister, wenn er wachsam und sensibel genug ist, Kamera und Mikrofon laufen zu lassen, nachdem die Schlagzeilenschmiede sich längst weggedreht haben. Den Rest erledigen der Schnitt und eine dramatisierend wummernde Musik.

Selten wurde im Fernsehen so deutlich, worum es bei den Hartz-Reformen ging und weshalb sie die SPD so heftig mitgenommen haben. Sie geben den Hintergrund ab für eine Niederlage, die 2009 wohl unvermeidbar war. Hinzu kam eine Führungskrise, die in einer modernen Art von Königsmord geendet hatte: Kurt Becks beschämende Demontage am Schwielowsee. Der Film blickt darauf zurück und nimmt hier seinen eigentlichen Anfang.

Ist die SPD noch zu retten?

Dem Desaster folgte der Parteitag in Dresden. Die Partei gab sich eine neue Führung. Sigmar Gabriel hielt eine kluge und mitreißende Rede. Hoffnung keimte auf. Aber auch der Zweifel: werden solchen Worten wirklich Taten folgen? Ist die SPD zu retten?

Hier setzt Hachmeister an. Auf Gabriels große Rede kommt er immer wieder zurück. Zwischendurch lässt er Wegbegleiter und Gegner zu Wort kommen, Spitzen-Genossen und Basis-Arbeiter, Aufgestiegene und Abgehängte.

Wie Wolfgang Clement hier unfreiwillig den enttäuschten Liebhaber gibt: das ist Fernsehen, wie es öfter sein sollte und leider allzu selten ist.

Der SPD-Chef als "Held" des Films
Gabriel, der Vorsitzende, ist der "Held" dieses Films, er muss es sein. Das ARD-Team folgt ihm in Präsidiumssitzungen und in die tiefe Provinz - etwa zum Pellkartoffelessen im Schatten des Harzes -, lässt nichts aus, fügt nichts hinzu. Manches wirkt peinlich, anderes skurril. Doch siehe da: der Respekt wächst von Filmminute zu Filmminute. Vor einem Vorsitzenden, der sich zu tun bemüht, was er in Dresden angekündigt hat. Und vor einer Partei, die trotzig weitermacht. Die sich unter Qualen prüft und erstaunlich vielgesichtig ist. Erstaunlich, wenn man die Unkenrufe im Ohr hat, die SPD sei keine Volkspartei mehr.

Das Ende des Films ist so offen wie die Zukunft der Partei. Nur eines ist jetzt sonnenklar: tot ist sie noch lange nicht.

Ein Rat nicht nur an Sozialdemokraten: unbedingt ansehen!
Sozialdemokraten - Achtzehn Monate unter Genossen. Im Ersten am 26. Juli um 22.45 Uhr.

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Autor*in
Uwe Knüpfer

war bis 2012 Chefredakteur des vorwärts.

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