Parteileben

"Uniform, konform, Chloroform"

von Edith Niehuis · 14. November 2011
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Die Parteireform strebt eine lebendigere Parteiarbeit vor Ort an. Wer den Leitantrag liest, gewinnt den Eindruck, es seien die Ortsvereine, die auf Grund ihrer veralteten Strukturen noch nicht in der modernen Gesellschaft angekommen sind. Mag sein, dass dieses hier und da der Fall ist. Dennoch gilt die Volksweisheit: Der Fisch stinkt immer vom Kopf her. Aber zu Verhaltensregeln für politische Führungen wird geschwiegen. Dabei sind sie es, die in der allgegenwärtigen Mediengesellschaft regelmäßig in jedem Wohnzimmer aufschlagen. Sie können deutschlandweit für ein Engagement in Parteien werben, die Parteien als ständige, lebendige Verbindung zwischen dem Volk und den Staatsorganen hervorheben oder auch Ressentiments gegenüber Parteien nähren. Politisch interessierte Menschen haben heute ein feines Gespür dafür, ob parteipolitisches Engagement Sinn macht oder nicht.

Bundesparteitage sind Orte der abschließenden Willensbildung. Und sie haben sich erheblich gewandelt. Nicht mehr die Antragsbücher für Delegierte stehen im Vordergrund, sondern Regiebücher für Fernsehkameras. Zwar stellen untere Gliederungen im Sinne einer Willensbildung von unten nach oben noch immer ihre Anträge auf dem Parteitag zur Abstimmung, doch unterschätzen sie die Antragskommission, die alles einebnet und Konfliktträchtiges ohne Aussprache zur Weiterleitung an andere Gremien empfiehlt. Eine straffe Regie sorgt für einen "harmonischen Parteitag", der Raum lässt für das scheinbar Wesentliche: die Selbstinszenierung der politischen Führung, umrahmt vom Dauerklatschen und stehender Ehrenbezeugung der Delegierten, auch für mittelmäßige Reden. Politisch mündige Menschen werden von so organisierten Parteien abgestoßen. Sie wollen ihr Hirn einsetzen, nicht ihre Armmuskulatur.

Streitkultur statt Personenkult

In einer Demokratie stellt sich die Parteiführung der Diskussion und ringt mit den Parteitagsdelegierten öffentlich um den richtigen politischen Weg. Personenkult und Aufmärsche jubelnder Massen sind eher Zeichen einer Diktatur. Wenn politische Führungen sich vor innerparteilicher Diskussion ängstigen, dann sind sie es, die den sozialen Wandel nicht verstanden haben und letztendlich die Volksparteien zerstören. "Es wird ein geistiges Sultanat errichtet, innerhalb dessen das Denken verödet. Die Sequenz ist unausweichlich: uniform, konform, chloroform", meinte Heiner Geißler 2005 zu solch einer Entwicklung. Ohne muntere Streitkultur nimmt eine Partei nicht mehr kreativ am politischen Leben teil, und politische Begabungen bekommen keine Chance, sich als politische Talente zu beweisen.

Eine autoritäre Parteiführung kann kritische Meinungen zwar unterdrücken, aber nicht eliminieren. Sie führt zu Frustrationen und verscheucht Mitglieder. Die Partei blutet aus. Leidtragende dieser Entwicklung sind zuerst die unteren Gliederungen der Partei. Ihnen fehlen dann die Parteimitglieder für die politische Arbeit in den Gemeinden und Städten. Es fehlen damit zugleich die Menschen, die vor Ort für die Parteiendemokratie werben und durch tägliche Kontakte für eine lebendige Verbindung zwischen Volk und Partei sorgen.

Regierende überschätzen sich

Es sind die Regierungsparteien, die ihre Parteitage leicht zu Akklamationsparteitagen verkommen lassen. Wenn Wahlprogramme Wirklichkeit werden können, stehen die Parteimitglieder hintan. Der Hang der Medien, Politik zu personalisieren, verleitet Regierungsmitglieder dazu, sich selbst zu überschätzen und sich über ihre Partei zu erheben. Sie nutzen ihren exklusiven Medienzugang zur Vorfestlegung, indem sie programmatische Projekte vorab öffentlich verkünden. Sie setzen Kommissionen ein und lassen Fachleute aus Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft politische Lösungsvorschläge erarbeiten. Sie vergessen, dass sie keine Entscheidungsvollmacht für die Parlamentsmehrheit oder für die Parteitage haben.

Parteien und Parlamente, die Verbindungen zwischen Volk und Staatsorganen, spielen zunehmend eine nachrangige Rolle. Es hat den Anschein, als ob der Staat von wenigen gemanagt wird wie in vordemokratischen Zeiten mit Hilfe privilegierter Eliten. Diese personalisierte Macht wird auch den Parteitagen übergestülpt. Die Parteien-, die Beteiligungsdemokratie gerät aus dem Blick und wird in eine Zuschauerdemokratie überführt. Das veranlasst nur noch wenige, sich in etablierten Parteien wie der SPD zu engagieren, und treibt sie in neue Bewegungen.

Will die SPD in der modernen Gesellschaft ankommen, dann gehört auch das Verhalten der politischen Führung auf den Prüfstand.

Edith Niehuis war von 1987 bis 2002 für die SPD Mitglied des Deutsches Bundestags. An der FU Berlin hat sie sich wissenschaftlich mit Parlamentarismus und Demokratie beschäftigt. 2011 erschien ihr Buch "Die Demokratiekiller. Fehlentwicklungen der deutschen Politik" (Lehmanns, Berlin 2011, 200 Seiten, 17,95 Euro).

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