SPD Berlin: Suche nach Stammzellen-Spenden im 24-Stunden-Livestream
Es war nur sein Satz, der das Leben von Anett Seltz von einer Sekunde auf die andere veränderte. Anfang Juni erfuhr die 54-jährige Geschäftsführerin der Berliner SPD, dass sie an Blutkrebs erkrankt ist. „Ich hatte noch eine Nacht zu Hause, dann kam ich in die Charité. Hier erwarten mich mehrere Chemo-Zyklen. Das ist die Vorbereitung auf die lebensnotwendige Stammzellentransplantation“, schreibt Seltz in einem Aufruf auf der Seite der DKMS (ehemals Deutsche Knochenmarkspenderdatei).
Notwendig für eine solche Stammzellentransplantation ist jedoch ein*e geeignete*r Spender*in. Manche sprechen gar von einem „genetischen Zwilling“. Je schneller eine geeignete Person gefunden wird, desto größer sind die Überlebenschancen der Patient*innen. In den 30 Jahren ihres Bestehens konnte die DKMS nach eigenen Angaben bereits mehr als 90.000 Spender*innen vermitteln. Sie unterhält eine Datenbank, in der sich jede*r per einfachem und kostenlosem Selbsttest registrieren kann.
24-Stunden-Livesendung aus dem Wohnzimmer
Um für die Registrierung als Stammzellenspender*in zu werben, hatte Alfonso Pantisano eine Idee. Innerhalb weniger Tage organisierte der Moderator und Co-Vorsitzende der Berliner SPDqueer einen 24-Stunden-Online-Marathon. Mithilfe einer Firma für Livestreams, die Ausstattung und Personal kostenlos zur Verfügung stellte, ging Pantisano am 9. Juli um eine Minute vor Mitternacht in seinem Wohnzimmer auf Sendung.
Im 15-Minuten-Takt sprach er mit mehr als 80 Gästen – vor Ort oder über das Internet zugeschaltet – aus Politik, Wissenschaft und Kultur. Die SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Nobert Walter-Borjans waren ebenso dabei wie der Sänger Patrick Lindner, die Berliner SPD-Chefin Franziska Giffey ebenso wie Moderatorin Kim Fisher. Spontan schaltete sich auch noch Rapper Eko Fresh dazu. Auch Anett Seltz selbst und ihre Kinder kamen zu Wort.
Das Adressbuch ausgequetscht
„Ich habe mein Adressbuch im Telefon ausgepresst wie eine süße Orange“, erzählt Alfonso Pantisano. Die Idee für den Online-Marathon sei aus einem Gefühl der Ohnmacht heraus entstanden, nachdem er von Seltz‘ Erkrankung über die sozialen Medien erfahren hatte. „Dann habe ich mich gefragt: Was kann ich tun, um zu helfen, einen geeigneten Spender zu finden?“
Innerhalb von zwölf Tagen entwickelte Pantisano das Konzept für die Livesendung und begann zu telefonieren. Seine persönlichen Beziehungen halfen nicht nur, Gesprächspartner*innen zu finden. Er konnte auch einen Livestream-Anbieter überzeugen, ihm kostenlos zu helfen. „Ich bin riesig stolz auf alle, die uns unterstützt haben“, sagt Pantisano.
3.000 Neu-Registrierungen übers Wochenende
Am meisten aber freut er sich, dass die Aktion erfolgreich war. Während und nach der Sendung haben sich über das Wochenende rund 3.000 Menschen ein Registrierungsset bei der DKMS bestellt. „Wenn alle die Unterlagen ausgefüllt wieder an uns zurücksenden, stehen für Anett und alle anderen betroffenen Menschen wieder 3.000 potentielle Stammzellspender*innen mehr zur Verfügung“, schreibt die DKMS in einer Mitteilung. Da erfahrungsgemäß etwa ein Prozent der Registrierten tatsächlich irgendwann als Spender*in infrage komme, könnten aus den neu Registrierten „im besten Fall 30 Lebenschancen“ vermittelt werden.
Ob ein*e geeignete*r Spender*in für Anett Seltz dabei sein wird, ist unklar. Je mehr sich registrieren, desto größer sind die Chancen. „Die Suche muss weitergehen“, sagt deshalb Alfonso Pantisano. Er plant schon eine Fortsetzung mit Einzelgesprächen. Bei der Stammzellenspende sei vor allem Aufklärung wichtig. „Da gibt es leider viele Halbwahrheiten. In 80 Prozent der Fälle funktioniert das wie eine Blutspende.“ Wichtig für die Registrierung sei, die kostenlosen Test-Kits mit der DNS-Probe auch zurückzuschicken. Nach Angaben der DKMS kommen von zehn verschickten Sets lediglich sechs zurück. „Das müssen wir ändern“, sagt Alfonso Pantisano. „Es ist super einfach, ein Menschenleben zu retten.“
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.