Der SPD-Chef verlangt im vorwärts-Interview einen Kurswechsel in Europa und eine Agenda 2020 .
Die SPD legt – zum ersten Mal in Deutschland – ein Wahlprogramm vor, mit Vorschlägen von Bürgern, die nicht Mitglied der Partei sind. Mit welchem Ergebnis?
Mit einem sehr guten. Ich war begeistert, wie engagiert die Bürgerinnen und Bürger unser Programm mitgeschrieben haben. Und sie haben sehr präzise formuliert: etwa gegen die Privatisierung des Trinkwassers und für einen guten ÖPNV. Ein Programm fürs alltägliche Leben. So sollte es auch sein.
Einer dieser Bürgervorschläge lautet: Der Bund soll von den Ländern die Gesetzgebungskompetenz für Bildung bekommen. Welche Chancen hat das?
Dafür wird es sicher so schnell keine Umsetzung geben. Wir wären schon froh, wenn der Bund mit den Ländern in Schulfragen wenigstens zusammenarbeiten dürfte. Selbst das ist ja nach dem Kooperationsverbot untersagt.
Die SPD fordert im Wahlprogramm eine Wirtschaftsregierung in der Euro-Zone. Wie soll die aussehen?
Wir haben heute eine Euro-Anarchie: Jeder Euro-Staat kann machen, was er will. Wenn es schief geht, müssen die anderen dafür bezahlen. Damit muss Schluss sein. Wir brauchen eine gemeinsame Steuerpolitik, gemeinsame wirtschaftspolitische Ziele und eine gemeinsame Haushaltsdisziplin.
Wie soll eine solche Politik demokratisch legitimiert werden?
Am besten wäre es, das Europäische Parlament würde eine europäische Regierung wählen, die diesen Zielen verpflichtet ist. Das Europäische Parlament müsste das kontrollieren. Die Nationalstaaten wären beteiligt mit einer zweiten Kammer, ähnlich dem Bundesrat.
Schwarz-Gelb behauptet, die SPD wolle Eurobonds und damit die Vergemeinschaftung der Schulden der Euro-Länder. Was sagt die SPD?
Diese gemeinsame Verschuldung haben Union und FDP längst herbeigeführt, bloß nicht öffentlich über Eurobonds, sondern über den geheimen Ankauf von Schulden durch die EZB. Dafür haftet Deutschland. Das sind die Merkelbonds.
Die SPD will also keine Eurobonds?
So ist es. Wir sind für einen Altschuldentilgungsfonds, durch den jedes Land seine Schulden mittilgen muss, wenn es in der Eurozone bleiben will. Das Bundesverfassungsgericht würde uns eine gemeinschaftliche Verschuldung über Eurobonds gar nicht erlauben.
Warum sollen die Menschen SPD wählen?
Weil wir unser Land aus dem Würgegriff von Banken und Finanzmärkten befreien wollen. Weil wir dafür sorgen wollen, dass gute Arbeit auch wieder gut bezahlt wird und es dadurch auch auskömmliche Renten gibt. Weil wir in Bildung investieren wollen. Und weil wir Schluss machen wollen mit der Zweiklassengesellschaft bei Gesundheit und Pflege.
Warum ist Peer Steinbrück der richtige Kanzlerkandidat für die SPD?
Weil er es schafft, wirtschaftliche und finanzielle Kompetenz mit der sozialen Kompetenz der SPD zusammenzubringen.
Wir berichten im „vorwärts“ über Menschen, die unter miserablen Bedingungen arbeiten. Warum ist gerade für sie die Wahl 2013 wichtig?
Weil die SPD genau das ändern will. Die SPD will einen gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro. Sie will, dass Leih- und Zeitarbeit zurückgedrängt wird, dass es wieder mehr feste Jobs gibt. Sie will, dass Frauen und Männer gleich bezahlt werden. Sie will, dass Leih- und Zeitarbeit genauso bezahlt wird wie fest angestellte. Und sie will, dass die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen endlich gestärkt wird.
Der SPD wird entgegengehalten, sie habe Leiharbeit erleichtert.
Unser Ziel damals war, dass Unternehmen Auftragsspitzen durch Leih- und Zeitarbeiter abdecken, statt durch Überstunden ihrer Beschäftigten. Doch dieses Instrument wurde missbraucht. Feste Jobs sind für schlechter bezahlte Leih- und Zeitarbeit vernichtet worden. Das werden wir stoppen.
Einige Unternehmen sagen, ohne prekäre Beschäftigung seien sie nicht wettbewerbsfähig.
Das kann keine Rechtfertigung für Ausbeutung sein. Der große deutsche Industrielle Berthold Beitz hat beklagt: ,Wir brauchen wieder mehr anständige Unternehmer, die mit ihren Beschäftigten fair umgehen.‘ Er hat recht.
Nachdem die SPD einen gesetzlichen Mindestlohn fordert, will sogar Schwarz-Gelb eine gesetzliche Lohnuntergrenze. Ein „Themenklau“?
Es wäre ja schön, sie würden uns das Thema klauen: Da wäre vielen Menschen geholfen. Das machen sie leider nicht. Die schwarz-gelbe Lohnuntergrenze soll jeweils von den Tarifpartnern ausgehandelt werden. Wenn es aber keine Tarifpartner gibt, wird auch nichts ausgehandelt.
Hätte sich die SPD früher für den Mindestlohn einsetzen müssen?
Es waren die Gewerkschaften, die lange Zeit gegen einen Mindestlohn waren, weil sie die Hoffnung hatten, dass sie das ohne den Gesetzgeber hinbekommen. Und in der Großen Koalition hat sich die Union gesperrt.
Die ASF fordert, öffentliche Aufträge an Frauenförderung zu koppeln. Was halten Sie davon?
Eine kluge Idee. Der Gleichbehandlungsgrundsatz steht bei uns in der Verfassung. Man muss dafür sorgen, dass sich Unternehmen auch daran halten.
Deutschland ist in der EU eines der wirtschaftlich erfolgreichsten Länder. Welchen Anteil hat die Agenda 2010?
Einen großen. Gerhard Schröder ist dem Gequatsche von der New Economy nicht gefolgt, nach dem man nur auf Finanzmärkte, Internet und Dienstleistungen setzen solle. Er hat Deutschland als Standort für Industrie, verarbeitendes Gewerbe und Handwerk gestärkt. Andere Länder in Europa haben das nicht getan und stecken heute viel tiefer in der Krise als wir.
Dennoch gibt es Kritik an der Agenda.
Es gab bei der Agenda zwei Fehler: Der Missbrauch bei der Leih- und Zeitarbeit wurde nicht bedacht. Spitzenverdiener wurden zu wenig herangezogen, etwa über die Besteuerung von Vermögen und Kapitalbesitz. Aber die Agenda war kein Sozialkürzungsprogramm. Sie hat vor allem Investitionen in Forschung und Entwicklung, in Erneuerbare Energien und in Ganztagsschulen gebracht.
Altkanzler Gerhard Schröder fordert eine Agenda 2020, um Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit weiter zu verbessern. Stimmen Sie ihm zu?
Ja, aber man muss ihn zu Ende zitieren: Er fordert mehr Anstrengungen für Bildung und für Ganztagsschulen. Er fordert unsere Bereitschaft ein, qualifizierte Fachkräfte nach Deutschland zu holen, weil uns die Fachkräfte sonst verloren gehen. Gerhard Schröder hat absolut Recht.
Das Interview führten Karin Nink und Lars Haferkamp.
ist Chefredakteurin des "vorwärts" und der DEMO – Das sozialdemokratische Magazin für Kommunalpolitik sowie Geschäftsführerin des Berliner vorwärts-Verlags.