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Rosenthals Wahlkampf

von Klaas Hübner · 16. Februar 2009
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Klaus Wettig hat ein Buch über den Ausnahme-Politiker und erfolgreichen Unternehmer Philip Rosenthal geschrieben. Es handelt sich dabei aber nicht um einen biographischen Text im üblichen Sinne. Vielmehr konzentriert Wettig sich auf das, was man das politische Scharnier im Leben Rosenthals nennen kann: Die Rede ist von dem unkonventionellen Kandidatenwahlkampf, den beide gemeinsam 1969 im südniedersächsischen Bundestagswahlkreis Wolfenbüttel/Goslar bestritten. Der Politneuling Rosenthal als Kandidat, Wettig als einer seiner Strategen.

Als damals unmittelbar Involvierter kann der Autor zum einen aus dem Nähkästchen plaudern. Das tut er gut belegt und unterhaltsam. Zum Beispiel, wenn er die Dynamik zwischen den unorthodoxen Methoden des Wahlkampfteams auf der einen, und dem eher traditionsgebundenen Zentralwahlkampf sowie den gewachsenen Parteistrukturen vor Ort auf der anderen Seite nachzeichnet, oder Interna zum Nominierungsprozesses des ortsfremden Kandidaten entfaltet.

Ob es beispielsweise Lapsus oder Taktik war, dass der frisch in die SPD eingetretene Rosenthal, als er sich auf einem Kreisparteitag den Genossen erstmalig vorstellen sollte, anhob mit "Meine Damen und Herren...", bleibt der Spekulation des Lesers überlassen. Überhaupt macht es viel Freude, die durch den wissenschaftlichen Stil häufig verschlüsselten Anekdoten und Anspielungen zu dechiffrieren.


Vom Nähkästchen zum Werkzeugkasten

Zum anderen bewirkt die Analyseleidenschaft Wettigs, dass sich sein Nähkästchen nach und nach in einen Werkzeugkasten voller scharf geschliffener Wahlkampfinstrumente verwandelt. Den Einsatz dieses Inventars dokumentiert er eindrücklich. Es reicht von Wahlkreissoziologie, die bis in die Zeit der Weimarer Republik zurückreicht, über statistische Umfrageauswertungen und Stärken/Schwächen-Analysen, bis hin zu "Feindbeobachtung", Manöverkritik und den stetig daraus abgeleiteten strategischen Korrektiven.


Tatsächlich erforderte die Person Rosenthal damals ein besonders widerstandsfähiges Wahlkampfkonzept. Als Teilhaber und Vorstand der gleichnamigen AG drohte es ihm, vorschnell als "lupenreiner Kapitalist" abgestempelt zu werden. Weiter boten die verschiedenen Stationen seines bewegten Lebens eine große Angriffsfläche für Polemiken und Diffamierungen verschiedenster Couleur: Wettig nennt u.a. Rosenthals Zeit in der Fremdenlegion, das Asyl in Großbritannien, seine Tätigkeit im Foreign Office und die Tatsache, dass er inzwischen zum fünften Mal verheiratet war. Um derartigen Angriffen von vornherein den Zufluss abzuschneiden, orientierte man sich an Kennedys PR-Strategie - und das hieß: Offenheit.


Aber auch dort, wo es um handfeste politische Fragen ging, war es schwer, nicht in eine permanente Verteidigungshaltung zu geraten. So war sein Konzept der "Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand" vielen suspekt. Auf dem Bundesparteitag von 1969 sorgte es für so viel Zündstoff, dass sich schließlich Willy Brandt in der Pflicht sah, zum Ablegen allzu klassenkämpferischer Scheuklappen aufzurufen: "Auch Friedrich Engels war ein selbstständiger, erfolgreicher Fabrikant!"

Wissen statt Wahlkampf

Im Fokus des Buches steht aber das, was schon 1969 die Aufmerksamkeit auch der überregionalen Presse erregte: Die unorthodoxen Wahlkampfaktionen. Mit ihnen gelang es, die Konkurrenten von CDU und FDP schon in der frühen Phase so weit in die Defensive zu drängen, dass Rosenthal fortan und bis zum Schluss Themen und Tempo des Wahlkampfs bestimmen konnte.

Wegen ihres Erfolges waren sie für die kommenden Jahre richtungweisend. Sie läuteten einen modernen Kampagnenstil ein, der sich nicht zu schade war, auch in gemeinhin unpolitischen Kontexten für politische Fragestellungen zu werben. Gerade weil einige von ihnen heute nur bedingt adaptionsfähig sind, steigern sie den Reiz der Lektüre: Was sich hinter Aktionen wie "Mit Frauen reden", "Wissen statt Wahlkampf" und "Von Mann zu Mann" verbirgt, lohnt sich nachzulesen. Die Stärke des Buches aber ist, dass Wettig die ihnen zu Grunde liegenden Kalküle offenlegt und einer mehrdimensionalen kritischen Bilanzierung unterzieht.

Wettigs Buch bietet eine kluge und detailreiche Innenperspektive auf einen außerordentlichen Wahlkampf. Als Fallstudie für den Umbruch in der politischen Kultur der jungen Bundesrepublik illustriert es, dass die SPD auch unter schwierigen Voraussetzungen Wahlen gewinnen und ihre Konzepte durchsetzen kann, wenn in ihr diskursive Offenheit, Professionalität und sozialdemokratische Werte eine starke Einheit bilden.

Wettig, Klaus, Rosenthals Wahlkampf. In memoriam Philip Rosenthal. Mit einem Vorwort von Gerhard Schröder, Vorwärts-Buch Verlagsgesellschaft, Berlin 2008, 144 Seiten, 14,80 Euro, ISBN: 978-3-86602-923-1

Klaas Hübner ist Mitglied des Bundestages aus Sachsen-Anhalt seit 2002, Sprecher des Seeheimer Kreises der SPD-Fraktion, und seit 2007 stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion.

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