Parteileben

P wie Politik, Parteienstreit und politische Klasse

von Hans Bartels · 28. März 2012

Politik

In den Kämpfen um politische Deutungshoheit hat es in den letzten Jahren eine bemerkenswerte Verschiebung gegeben. Ging es zu Zeiten des Kalten Krieges um die richtige Balance zwischen „Staat“ und „Markt“, so verschwindet jetzt der Begriff des Staates mehr und mehr aus diesem Gegensatz und wird ersetzt durch den viel besser zu diskreditierenden Kollektivsingular „die Politik“. 

Diese Sprachverschiebung ist ein Nebenaspekt des Siegeszugs ökonomistischen Denkens in allen Lebensbereichen. Der Politik kann leichter das Recht abgesprochen werden, der Ökonomie Grenzen zu setzen, als dem Staat, der immer noch über ein ganz passables Image verfügt. Deshalb Obacht! „Die Politik“ gibt es nicht – das ist nur ein Blancoetikett, das genauso korrekt auf Röslers Reden pappt wie auf einem rot-grünen Koalitionsvertrag.

Und wenn Angela Merkel sich mit David Cameron trifft, haben nicht zwei „europäische Politiker“ miteinander gesprochen, sondern die Bundeskanzlerin mit dem britischen Premierminister.

Parteienstreit

Im heutigen China erstreben die kommunistischen Führer in Übereinstimmung mit einer Jahrhunderte alten Philosophie die „harmonische Gesellschaft“. Wie schön: Konflikte sind verboten, Streit ist verboten, Parteien sind verboten! Die KP denkt und lenkt, und alles wird gut. Wer aber an die Diktatur der Harmonie nicht glaubt, der ist in einem demokratischen System besser aufgehoben. Da herrscht nicht nur Wettbewerb zwischen Privatunternehmen (das gibt’s in China inzwischen auch), sondern vor allem zwischen Ideen und Interessen.

Weil die Menschen unterschiedlich sind, weil es nicht die eine Wahrheit und nicht die eineeinzig-mögliche Zukunft gibt, deshalb soll es für jeden die Freiheit geben, seine Meinung zu sagen und Parteien zu gründen, die miteinander konkurrieren, das heißt auch: streiten.

Parteien ihr „Gezänk“ vorzuwerfen, ist also ähnlich geistreich, wie Vögel für das Fliegen zu kritisieren. Aber: Demokratischer Streit kann und muss gelernt werden – und das gelingt nicht immer gleich gut. Wohl wahr.

Politische Klasse

Eine der geistlosesten antidemokratischen Vokabeln lautet „politische Klasse“ oder „Kaste“. Alle Abgeordneten, Bürgermeister, Ministerpräsidenten und Parteifunktionäre – egal ob links oder rechts – müssen durch geheimnisvolle Vorbestimmung Angehörige einer verlogenen, selbstsüchtigen und hässlichen Sorte Mensch sein: „Politiker“. Die uralte Botschaft lautet: Alle in einen Sack, Knüppel drauf, wird schon den Richtigen treffen!

Korrekt beobachtet ist, dass das Spiel nach demokratischen Regeln besondere (besser oder schlechter gelernte) Verhaltensweisen erfordert. Dadurch werden die Gewählten in ihren Rollen einander ähnlich, so unterschiedlich sie auch als Menschen sind.

Es war ein ganz anderer Zusammenhang, in dem der Philosoph Karl R. Popper über die „klassenlose Gesellschaft“, die die Kommunisten mit Hilfe der „Diktatur des Proletariats“ errichten wollten, sagte: „Und welcher Klasse sie auch entstammen mögen – sobald sie herrschen, gehören sie zur herrschenden Klasse.“

Autor*in
Hans Bartels

ist seit 1998 Mitglied des Deutschen Bundestages. Der Autor („Victory-Kapitalismus“) ist zugleich Sprecher der „AG Demokratie“ in der SPD-Bundestagsfraktion. Für den vorwärts schreibt er regelmäßig das "Wörterbuch der Politikverdrossenheit".

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