Ostfriesische Freiheit
Ulf Buschmann
Sonntagmorgen, Inselhafen Borkum: Aus dem Bauch des Fährschiffs strömen die Inselbesucher. Für andere ist der Urlaub beendet. Inmitten des Gewusels aus An- und Abreisenden wartet Hendrik Maisch auf den Reporter vom Festland. Maisch ist Vorsitzender des SPD-Ortsvereins, kurz OV. Seit der jüngsten Kommunalwahl sind die Genossinnen und Genossen die stärkste politische Kraft auf der größten ostfriesischen Insel. Die Themen ihrer Insel müssen die Borkumer weitgehend alleine stemmen.
Zwar sei der „Austausch mit anderen Ortsvereinen schwierig“, wie OV-Kassierer Markus Stanggassinger weiß, doch damit kommen die Borkumer gut klar. Dafür ist der Umgang der Insel-Genossen untereinander „intensiver“. Das findet Melanie Helms. Sie ist stellvertretende Bürgermeisterin, Ratsmitglied und Beisitzerin im OV-Vorstand: „Man sitzt eben enger auf einem Haufen.“
Das Inseldasein bedeutet jedoch nicht, dass die Borkumer Sozialdemokratinnen und -demokraten völlig von der restlichen Welt abgeschnitten sind. Im Gegenteil, wie Maisch findet: „Wir sind gut vernetzt. Man hört uns schon.“ Die Drähte der Borkumer glühen bei Bedarf vor allem in Richtung der niedersächsischen Landtagsfraktion in Hannover sowie nach Brüssel beziehungsweise nach Straßburg zum EU-Abgeordneten Timo Wölken und zu Johanne Modder. Sie führt die SPD-Landtagsfraktion.
Alle sind willkommen
Politik auf einer Insel zu machen, ist eine besondere Herausforderung. Da müssen sich auch die Insel-Genossen einiges überlegen. Jürgen Müller, Sprecher der Stadtratsfraktion, macht keinen Hehl daraus, dass es auch den Borkumer Sozialdemokraten schwer fällt, Leute zu motivieren. Gerade mit den Jungen sei das schwierig. Deshalb werden interessierte junge Leute so schnell wie möglich in die OV-Strukturen und die Kommunalpolitik eingebunden. Jedes Mitglied sei zum Beispiel bei allen Sitzungen der Parteigremien willkommen. Unterschiede zwischen Vorstand und einfachen Mitgliedern machen die Borkumer dabei nicht. Zudem würden Interessierte motiviert, an den Sitzungen des Borkumer Stadtrates sowie den öffentlichen Zusammenkünften der Ausschüsse teilzunehmen.
Im Gegensatz zu manch anderer Region ist die SPD auf Borkum noch immer eine Größe. Und das hat mit dem sprichwörtlichen Ort an der Seele der Menschen zu tun, betonen die Vorstandsmitglieder unisono. Sie sehen es unter anderem als ihre Aufgabe an, aufkommende Gerüchte aufzunehmen und die Menschen zu informieren, bevor sich ein Thema verselbstständigt und vielleicht sogar das Klima vergiftet. Wichtig sei in solchen Fällen unter anderem, „nicht jedes Thema gleich medial auszuschlachten“, sagt Fraktionssprecher Müller. Stanggassinger ergänzt: „Wir reden den Leuten nicht nach dem Mund.“ Die SPD bilde sich zu jedem Thema eine Meinung und vertrete diese nach außen mit einer Stimme. „Kompromisse eingehen ist wichtig“, ergänzt Maisch.
Die Hauptstadt Berlin ist weit
Themen gibt es auch auf der Insel Borkum genug: Tourismus, die Entwicklung nach der Übernahme des ehemaligen Bundeswehrhafens durch die Gemeinde, bezahlbarer Wohnraum, die ärztlich-medizinische Versorgung, Straßenbau und Verkehr, die Feuerwehr oder die Privatisierung des ehemaligen Insel-Altenheims. Und dann sind da noch die Emsvertiefung, die Energiewende mit den Windparks „Alpha Ventus“ und „Borkum Riff“ vor der Borkumer Küste sowie die Industrieanlagen und das Kohle- und Gaskraftwerk auf niederländischer Seite.
Eher nebenbei wirft Maisch in die Diskussion, dass die Änderung des Paragrafen 22 des Baugesetzbuches, der bezahlbaren Wohnraum für Einheimische sichern soll, auf Initiative der Borkumer SPD zustande gekommen ist. Hintergrund: Immer mehr Wohnungen werden – ähnlich wie in Berlin – als Touristenunterkünfte vermietet.
Nachdenklich werden die Borkumer erst bei der Frage nach der viel diskutierten Erneuerung der SPD. Damit können die Insulaner wenig anfangen. Schließlich haben sie sich schon längst weiterentwickelt. Fraktionssprecher Müller bringt es auf den Punkt: „Erneuern heißt auch, sich für die Vergangenheit zu entschuldigen. Die Fehler, die in Berlin gemacht werden, müssen wir vor Ort ausbaden.“ Helms ergänzt: „Erneuern hat bei uns schon in den vergangenen Jahren stattgefunden.“ Ortsvereinschef Maisch sagt: „Wenn man gute Politik macht, kommen die Menschen wieder.“