Rechten Parolen begegnet man am besten mit Humor. Das ist die Überzeugung von „Storch Heinar“. Die Kunstfigur hält Neonazis den Spiegel vor und klärt junge Menschen über ihre Machenschaften auf.
Das Wummern ist schon zu hören, bevor der Storch seinen Schnabel durch die Tür schiebt. Keine Frage, dieser Vogel mag Marschmusik. Und er hat seine eigene Kapelle mitgebracht. Im Gleichschritt marschieren die Musiker in die Turnhalle der Ostsee-Schule in Wismar ein. Es ist ein kalter Montagmorgen. Draußen ist es noch dunkel. Drinnen haut „Bumm-Bumm Bernhard“ auf die Pauke. Rund 70 Schüler der siebten bis zehnten Klasse schauen ihm dabei zu und scheinen nicht genau zu wissen, was sie von dem Mann in der blauen Uniform und mit der dunklen Sonnenbrille halten sollen.
Dann ergreift der Storch das Wort. „Mir sträuben sich die Nackenfedern, wenn ich mich in unserem schönen Bundesland umsehe“, klagt er mit rollendem „R“ und dröhnender Stimme. „Nur gemeinsam können wir den Nazis die Butter vom Brot nehmen.“ Und genau dafür ist er hier. Für einen Projekttag ist Storch Heinar mit seiner Band „Storchkraft“ an der Ostsee-Schule gelandet. Einen Vormittag lang klären Heinar und seine Mitstreiter die Schüler über rechte Musik, rechte Modemarken und rechte Internetseiten auf.
Geburt bei einer Rotweinrunde
„Man braucht einen Identifikationspunkt, wenn man etwas gegen die Rechten erreichen möchte“, erklärt Julian Barlen. Der 33-Jährige ist Abgeordneter des Landtags von Mecklenburg-Vorpommern und als Projektkoordinator so etwas wie der Erziehungsberechtigte von Storch Heinar. Entstanden ist die Figur bei einer Rotweinrunde im Sommer 2008. Im Jahr zuvor hatte in der Rostocker Innenstadt ein Laden mit bei Neonazis beliebter Mode aufgemacht. Eine Gruppe um den heutigen Bildungsminister Mathias Brodkorb wollte dem etwas entgegensetzen – etwas Kreatives.
Schnell war klar: Eine eigene Modemarke muss her, eine, die die Mode der Rechten aufs Korn nimmt. So wurde aus dem Namen „Thor Steinar“, unter dem Jacken, Pullover und T-Shirts verkauft werden, die besonders gern von Rechten getragen werden, „Storch Heinar“. Den hieß es mit Leben zu füllen. Bald war die Figur des Storchs mit Uniform, Seitenscheitel und Oberlippenbärtchen geboren. Gezeichnet erschien sie auf T-Shirts und Pullovern, die Brodkorb, Barlen und Co. übers Internet verkauften.
Den Erlös nutzten sie für den Kampf gegen Rechts. Wenige Monate darauf bekamen die Heinar-Macher Post. „Thor Steinar“ sah seine Markenrechte verletzt. Es kam zum Prozess, den Heinar 2010 gewann. „Danach war unser Storch über Nacht weltbekannt“, sagt Julian Barlen. Eine wahre Erfolgsgeschichte begann.
Preisgekrönter Storch
Eine Heinar-Puppe, ähnlich den Maskottchen in Fußball-Stadien, wurde gebaut und die Band „Storchkraft“ gegründet. „Bumm-Bumm Bernhard“, „Posaunen Peter“ und „Trommelfeuer Fritz“ blasen seit 2011 den Rechten in Mecklenburg-Vorpommern den Marsch. „Mikrophon Manfred“ alias Julian Barlen und „Verstärker Volker“ singen dazu. Ihren größten Auftritt hatte die Truppe im vergangenen Jahr beim Deutschlandfest zum 150-jährigen Jubiläum der SPD in Berlin.
Verankert in der Partei ist Storch Heinar schon länger. Auf dem Bundesparteitag 2011 wurde das Projekt mit dem Wilhelm-Dröscher-Preis ausgezeichnet. „Das Preisgeld konnten wir gut gebrauchen“, sagt Barlen. „Wir sind nämlich auf Spenden angewiesen.“ Ein Jahr später erhielten sie den Deutschen Engagementpreis. 2013 wurde Storch Heinar zum Bundes-Engagement-Botschafter ernannt.
„Wir könnten jedes Wochenende irgendwo in der Republik auftreten“, sagt Barlen. Obwohl Heinar und seine ehrenamtliche Truppe natürlich nicht überall persönlich einfliegen können, bieten sie trotzdem jedem Unterstützung gegen Neonazis an, der selbst aktiv werden möchte. „Wir haben gerade neues Material gegen die ‚braune Brut‘ in unseren digitalen Kaufmannsladen gestellt, das für die anstehenden Kommunalwahlkämpfe und die Europawahl genutzt werden kann“, sagt Barlen. Und wenn es Marschmusik gibt, kommt Heinar ab und an vielleicht auch selbst vorbei.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.