Parteileben

Mit Weltrekord und alten Fahrrädern zu einem besseren Zusammenleben

Am Samstag ist der diesjährige Regine-Hildebrandt-Preis verliehen worden. Er ging zu gleichen Teilen an drei Vereine, die sich für gegenseite Verständigung einsetzen. In seiner Festrede betonte Justizminister Heiko Maas, wie wichtig es sei, der „lauten Minderheit“ nicht die Gesellschaft zu überlassen.
von Kai Doering · 26. November 2016
Regine-Hildebrandt-Preisträger von Kids & Co

Es ist noch kein Jahr her, da schaffte ein Tisch im Berliner Stadtteil Hellersdorf ins Guinness-Buch der Rekorde. Der „Neverending-Table“ am 18.Dezember 2015 auf der dem  Boulevard Kastanienallee maß genau 173,54 Meter. Doch auf die Länge kam es den Initiatoren vom Verein „Kids & Co“ nicht vorrangig an: Sie wollten vor allem die Bevölkerung aus Hellersdorf miteinander ins Gespräch bringen.

Lange Tafeln für alle statt Mauern

Das gelang. „Menschen, die sich sonst kaum getroffen hätten, kamen an einem Tisch zusammen“, schwärmt Heiko Maas am Samstag Nachmittag im Atrium des Willy-Brandt-Hauses in Berlin. Der Bundesjustizminister hält die Lobrede auf den Verein „Kids & Co“, der in diesem Jahr einer der drei Träger des Regine-Hildebrandt-Preises ist. Maas’ Fazit für den Neverending-Table: „Mit sozialem Engagement kann man sogar Rekorde knacken.“

„Wir brauchen keine höheren Mauern, sondern bauen lieber lange Tafeln für alle“, fasst Steffi Märker, die Vorsitzende von „Kids & Co“, die Philosophie des Vereins zusammen. Das Beste an dem Projekt seien die Menschen gewesen. Der Regine-Hildebrandt-Preis sei für sie und ihre Mitstreiter „Inspiration, so weiterzumachen“.

„Wir wollen keine Last sein, sondern ein Flügel“

Eine beeindrucken Gemeinschaftsleistung zeigt auch der zweite Preisträger. Der Verein „Afghanische Frauen in München“ organisiert seit 2013 ehrenamtlich Kontakte zwischen Afghaninnen, Frauen aus Deutschland und anderen Ländern in der bayerischen Landeshauptstadt. „Sie fördern Frauen, sich als eigene Individuen wahrzunehmen und zeigen beispielhaft, dass die große Aufgabe der Integration nur mit Hilfe alle gelingen kann“, lobt die Schirmherrin des Regine-Hildebrandt-Preises Manuela Schwesig.

Die Vorsitzende Mahbuba Maqsoodi antwortet auf so viel Lob mit einem persischen Sprichwort: „Sei keine Last, sein ein Flügel“, lautet es. „Wir wollen für unsere zweite Heimat keine Last sein, sondern wenn möglich ein Flügel“, sagt Maqsoodi – und erinnert daran, dass sich niemand freiwillig auf eine Flucht begebe: „Flucht ist immer ein Zwang und unerwünscht.“

Anderen helfen und selbst davon profitieren

Dass es erst gar nicht so weit kommen muss, dafür arbeitet der Verein „Arbeit und Dritte Welt“ bereits seit 1995. Dessen Grundgedanke sie „so simpel wie überzeugend“, betont Heiko Maas: Was in Deutschland nicht mehr gebraucht werde, könnten die Menschen in anderen Ländern noch gut nutzen. So haben die Mitarbeiter von „Arbeit und Dritte Welt“ gerade erst 300 Fahrräder gesammelt, repariert und nach Eritrea verschifft. Hier nutzen sie nun Kriegsversehrte zur Fortbewegung.

„Wir wollen Hilfe zur Selbsthilfe geben“, erklärt der Vorsitzende des Vereins Fred Schulz das Konzept. 58 Mitarbeiter beschäftige der Verein zurzeit – von der Werkstattkraft bis zu Buchhaltung. Sie arbeiten Werkzeug, Geräte oder Möbel auf und schicken sie in Drittweltländer. Acht große Schiffscontainer sind es durchschnittlich im Jahr. Der Clou: Die Menschen, die für „Arbeit und Dritte Welt“ tätig sind, finden darüber meist den Weg zurück zu einer regulären Beschäftigung. „Wer anderen hilft, dem kommt das selbst zugute“, fasst es Heiko Maas am Samstag zusammen. Das Drittel, das „Arbeit und Dritte Welt“ vom mit 20.000 Euro dotierten Regine-Hildebrandt-Preis erhält, soll in die Schaffung neuer Arbeitsplätze fließen.

60 Bewerbungen, drei Preisträger

„Der Preis will Zeichen setzen und dazu ermuntern, für ein solidarisches Zuammenleben einzustehen“, betont Schirmherrin Manuela Schwesig. Aus 60 Bewerbungen die drei Preisträger auszuwählen, sei der Jury nicht leicht gefallen. „Sie alle sind Frauen und Männer, die in unserem Land etwas zum Guten bewegen.“ Dieses Engagement in den Mittelpunkt zu stellen, sei auch Aufgabe des Regine-Hildebrandt-Preises, denn „unser Land ist anders als es und die Schreihälse von Rechts weismachen wollen“.

„Regine Hildebrandt ging es immer darum, den Menschen in schwierigen Zeiten Halt zu geben“, erinnert Heiko Maas. Zurzeit gebe es bei vielen ein Gefühl der Ohnmacht und Unsicherheit, das den Populisten Zulauf beschere. Bestimmte Tendenzen im Internet verstärkten das Auseinanderdriften der Gesellschaft noch. „Das gesellschaftliche Klima wird durch den Hass im Netz vergiftet“, beklagt der Justizminister.

„Einer lauten Minderheit“ nicht das Feld überlassen

Das zu ändern sei nicht nur Aufgabe der Politik. „Regine Hildebrandt hat die Sorgen der Menschen immer ernst genommen, hätte den so genannten besorgten Bürgern aber nie nach dem Mund geredet“, ist Maas überzeugt. In ihrem berühmt gewordenen „Enkel-Brief“ hatte Hildebrandt schon 1999 beklagt, dass „die Freiheit des Wortes“ oft in ihr Gegenteil verkehrt würde. Umso wichtiger sei es, so Maas, „einer lauten Minderheit“ nicht das Feld zu überlassen. „Wir brauchen Menschen, die sich nicht ins Private zurückziehen, sondern die sich engagieren.“

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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