Parteileben

Mehr Demokratie und Menschlichkeit

von Julian Zado · 21. September 2014

Am 22. Juli jährt sich das Attentat von Norwegen zum ersten Mal. Das Entsetzen und die Trauer über die Tat von Anders Breivik sind noch immer groß. Warum der Attentäter dennoch verloren hat, erklärt Julian Zado, stellvertretender Juso-Bundesvorsitzender, in seinem Gastbeitrag. 

Es ist immer noch unfassbar. Obwohl es am 22. Juli nun genau ein Jahr her ist, dass Anders Breivik in Norwegen ein Massaker angerichtet hat. Er hat dabei 77 junge Menschen ermordet, die auf einer Insel ein Camp veranstaltet haben. Die jüngsten Opfer waren dabei gerade einmal 14 Jahre alt.

Die Opfer hatte sich Breivik nicht zufällig oder wahllos ausgesucht. Er wollte ganz gezielt diese Jugendlichen aufgrund ihrer politischen Einstellung und ihres Engagements für Demokratie töten. Breivik ist ein Nazi: Er ist homophop, er hasst AusländerInnen, er wähnt sich auf einem Feldzug gegen eine Unterwanderung seines Volkes. Seine Opfer waren das genaue Gegenteil. Sie standen für eine offene Gesellschaft, für eine gleiche Teilhabe aller Menschen am Leben, für Demokratie. Das war nicht nur ihre Überzeugung. Diese jungen Menschen haben sich in ihrer Freizeit für ihre Überzeugung auch engagiert. Sie haben dafür Veranstaltungen organisiert, Texte geschrieben, politische Bildung für junge Menschen organisiert und vieles mehr. Sie haben auch Wahlkampf gemacht - für die sozialdemokratische Partei Norwegens, die Arbeiderpartiet. Denn die ermordeten Opfer gehörten allesamt der Jugendorganisation der Partei an, der Arbeidernes Ungdomsfylking (AUF) - eine Schwesteroganisation der JUSOS. 

Abgesehen davon, dass sie sich in einem anderen Land engagiert haben, trennt uns JUSOS nicht viel von der AUF. Die Opfer wurden ermordet, als sie mit ihrer Organisation auf einem Sommercamp waren, einem Sommercamp, wie wir Jusos es auch schon oft veranstaltet haben. Dieses grausame Massaker war sicherlich für sehr viele Menschen weltweit ein fürchterliches Ereignis. Aber aufgrund unserer persönlichen Verbundenheit zu unseren Genossinnen und Genossen in Norwegen, ist es für uns Jusos besonders schmerzvoll. Wir Jusos engagieren uns sehr viel auf internationaler Ebene: weltweit wie auch in Europa. Viele von uns hatten auf europäischer Ebene schon Kontakt mit norwegischen GenossInnen. Auch wenn es nicht rational ist: der persönliche Bezug erhöht die Anteilnahme, den Schmerz und die Trauer um die Opfer.

Welche Folgen hat das Attentat?

Und noch etwas anderes ist immer noch sehr präsent, auch in unserer politischen Arbeit. Ich gebe zu, dass mich dieses Ereignis kurz an einigen meiner politischen Überzeugungen hat zweifeln lassen. Ist es richtig, für eine Gesellschaft einzutreten, die weitestgehend frei von staatlicher Überwachung ist? Ist es richtig, für Datenschutz und für die Einhaltung von BürgerInnenrechten einzutreten? Oder könnte man nicht Tätern wie Breivik durch mehr staatliche Repression eher aufspüren und dingfest machen, bevor sie solche widerwärtigen Verbrechen begehen können? Ist es nicht das kleinere Übel, in Einzelfällen einen Unschuldigen zu beschuldigen, als nicht alles dafür zu tun, um ein solches Massaker zu verhindern? Diese Fragen habe ich mir gestellt. Und für einen kurzen Moment konnte man vor einem Jahr davon ausgehen, dass diese Fragen auf der ganzen Welt sehr intensiv diskutiert werden würden.

Es ist in der Rückschau deshalb umso beeindruckender, wie der norwegische sozialdemokratische Ministerpräsident Jens Stoltenberg bereits kurz nach der Tat reagiert hat: "Noch sind wir geschockt, aber wir werden unsere Werte nicht aufgeben. Unsere Antwort lautet: mehr Demokratie, mehr Offenheit, mehr Menschlichkeit." 

Die härteste denkbare Strafe

Diese Worte Stoltenbergs können nicht genug gewürdigt werden. Sie waren mutig, denn er musste befürchten, dass diese Worte bei der Bevölkerung als zu gnädig, zu weich wahrgenommen werden würden. Es war sein Verdienst, zu einem sehr frühen Zeitpunkt, eine solche Debatte im Keim zu ersticken. Er hat damit dafür gesorgt, dass Breivik keinen Erfolg hatte.

In welchem Krieg sich Breivik auch immer wähnt: er weiß, dass er ihn verloren hat. Er konnte die norwegische Gesellschaft nicht verunsichern. Es ist ihm nicht gelungen, seinen Hass auf andere zu übertragen - so wie er es geplant hatte. Das ist mit Sicherheit für Breivik die härteste denkbare Strafe. Die Worte Stoltenbergs haben mit Sicherheit auch dazu beigetragen, dass die Jusos ihren Mut nicht verloren haben, für ihre Werte einzustehen und sie in die Öffentlichkeit zu tragen. So wie aktuell auf einem gemeinsamen Sommercamp vieler jungsozialistischer Organisationen aus ganz Europa in Kroatien.

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Autor*in
Julian Zado

ist stellvertretender Vorsitzender der Berliner SPD.

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