Ludwig Marum: Familientreffen für einen bekannten Unbekannten
Wenn Andrée Fischer-Marum in Karlsruhe erzählt, wer ihr Großvater war, kommt es häufiger vor, dass ihr Gegenüber wissen möchte, ob sie in ihrem Wohnort Berlin seinetwegen auf der Straße angesprochen wird. Fischer-Marum muss dann meistens lachen, denn während in Baden-Württemberg jedes Kind in der Schule lernt, wer Ludwig Marum war, ist er in Berlin weithin unbekannt.
Eine Ausstellung zur Familienzusammenführung
Am vergangenen Donnerstag stehen Andrée Fischer-Marum und rund 30 Verwandte in der Abgeordnetenlobby des Bundestags. Einige sind aus den USA angereist, andere aus Israel, Australien und den Niederlanden. Manche sehen sich an diesem Tag zum ersten Mal. Grund für die Zusammenkunft ist eine Ausstellung über Ludwig Marum, die am Abend in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand eröffnet wird. „Ein Leben für Recht und Republik“ ist sie überschrieben.
„Die Ausstellung hat ein Wunder bewirkt“, sagt Andrée Fischer-Marum. Der 77-Jährigen stehen dabei Tränen in den Augen. Eigentlich wollte nur der Teil der Familie, der sich ohnehin regelmäßig trifft, zur Ausstellungseröffnung zusammenkommen, doch dann gewann das ganze Projekt eine Eigendynamik. „Die Erinnerung an Ludwig Marum lebt in uns allen“, sagt Andrée Fisher-Marum.
Ludwig Marum – doppeltes Feindbild der Nazis
Sie selbst fährt jedes Jahr mehrere Male nach Karlsruhe. Dort gibt es eine Ludwig-Marum-Straße, ein Gymnasium trägt seinen Namen und seit 1988 vergibt die dortige SPD den Ludwig-Marum-Preis. Er soll „Zeichen setzen für ein verantwortliches Verhältnis zur deutschen Geschichte, für Wachsamkeit gegen jegliche Form der Intoleranz sowie Menschlichkeit im Umgang mit Fremden“.
„Ludwig Marum war ein gütiger, freundlicher Mensch – und Politiker durch und durch“, beschreibt Andrée Fischer-Marum ihren Großvater, den sie allerdings nie persönlich kennengelernt hat. 1934 wurde der im Konzentrationslager Kislau von den Nazis ermordet. Als SPD-Mitglied und Jude entsprach Marum gleich einem doppelten Feindbild.
Ein Prominenter der Weimarer Republik
Ein Prominenter war Ludwig Marum zu diesem Zeitpunkt ohnehin: Nach der Novemberrevolution 1918 war er als Justizminister in die provisorische Landesregierung von Baden berufen worden. Auch an der Ausarbeitung der Landesverfassung war er maßgeblich beteiligt. Von 1919 bis 1928 war Marum Vorsitzender der SPD-Fraktion im badischen Landtag. 1928 und 1933 wurde er in den Reichstag gewählt. Doch auch seine Immunität als Abgeordneter konnte ihn nicht schützen als Ludwig Marum am 10. März 1933 mit anderen führenden Köpfen der Arbeiterbewegung verhaftet und in „Schutzhaft“ genommen wurde.
Knapp drei Wochen später wurde Marum im Konzentrationslager Kislau bei Bruchsal von drei SA-Männer erdrosselt. Eine Möglichkeit zur Flucht – Marum hatte zu Anfang seiner Haft zwei Tage Freigang wegen einer Familienangelegenheit erhalten – hatte er nicht wahrgenommen. Marums Begründung: Er habe seine Ehrenwort gegeben, wieder in die Haft zurückzukehren.
„Ludwig Marum gehört zu den Männern und Frauen, die den Grundstein für unsere Demokratie gelegt haben“, sagt auch Gabriele Katzmarek in der Lobby des Bundestags. Die SPD-Abgeordnete aus Rastatt führt Marums Nachkommen an diesen Donnerstag durchs Parlament. „Unsere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass die Demokratie erhalten bleibt“, betont sie. „Das sind wir Menschen wie Ludwig Marum schuldig.“
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Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.