Parteileben

Lars Klingbeil und Kevin Kühnert: GroKo und Erneuerung - geht das?

SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil steht zu einer erneuten großen Koalition, Juso-Chef Kevin Kühnert bleibt beim Nein. Ein Streitgespräch über Erfolge der SPD, Fouls der Union und die Erneuerung der Sozialdemokraten.
von Vera Rosigkeit · 14. Februar 2018

Der Koalitionsvertrag liegt auf dem Tisch. Wie fällt Ihre Bewertung aus?

Lars Klingbeil: Wir haben der Union einiges abgerungen. Der Koalitionsvertrag ist eine gute Grundlage, um das Leben vieler Menschen in Deutschland ganz konkret zu verbessern. Zum Beispiel für Familien, Kinder, Rentner, Auszubildende und alle, die ihre Angehörigen pflegen.

Kevin Kühnert: Im Vertragsentwurf gibt es Licht und Schatten. Lob bekommen wir vor allem für die Ministerien, die wir ausverhandelt haben. Die Tore schießt man in der Politik aber nicht, indem man sich die Ministerien holt, die Tore sind die Gesetze und die praktische Politik am Ende. Und unsere Tore hat die Union zuletzt immer häufiger per Foulspiel verhindert.

Klingbeil: Man muss den Koalitionsvertrag an den Inhalten messen. Zum Beispiel schaffen wir mit der BAföG-Erhöhung und der Mindestvergütung eine spürbare Verbesserung für Azubis und Studierende, das waren ja auch zentrale Forderungen der Jusos. Und da müssen sich alle, die gegen den Koalit­ionsvertrag sind, fragen lassen, warum sie das jetzt nicht umsetzen wollen.

Kühnert: Bleiben wir bei den Punkten, die du genannt hast. Bafög-Erhöhung: völlig in Ordnung so. Gucken wir uns die Mindestvergütung an: Der Vertrag schweigt sich ja aus dazu, welche Höhe die haben soll. Dieses Berufsbildungsgesetz wollte schon die jüngste Groko ändern. Beschlossen worden ist es am Ende nicht. Warum? Die Union hat ­blockiert. Wir tragen auch Verantwortung, das Vertrauen in die Politik nicht noch weiter zu erschüttern.

Klingbeil: Die Mindestausbildungsvergütung steht jetzt erstmalig in einem Koalitionsvertrag. Und genau darum sollten wir in die Regierung eintreten – um sicherzustellen, dass die Verhandlungsergebnisse auch tatsächlich umgesetzt werden. Wenn wir von der Seitenlinie zuschauen, wird sich gar nichts verbessern.

Kühnert: Aber dafür müsste ich das Zutrauen haben, dass das am Ende auch funktioniert. Ich vertraue der Union aber nicht. Und ich weiß, wir sind bei der Frage, ob man erneut Vertrauen schenken sollte, auseinander.

Klingbeil: Diese Argumentation ist getrieben von Angst vor der Union. Ich finde, wir können mehr Mut und Selbstvertrauen haben. Außerdem würde ich von dir gerne wissen, in welcher Konstellation wir aus deiner Sicht gerade mehr sozialdemokratische Inhalte durchsetzen können. Wir haben eine rechte Mehrheit im Bundestag, denen will ich dieses Land nicht überlassen. Die Frage nach den Alternativen beantwortest du nicht, Kevin.

Kühnert: Wir alle wollen politisch gestalten. Aber manchmal lautet der Wählerauftrag auch: Opposition. Das habt ihr im Vorstand bis November, also noch nach dem Scheitern von Jamaika, ebenso gesehen. Ich argumentiere nicht mit Angst, wenn ich sage, dass viele Menschen von uns deutlich mehr Unterscheidbarkeit erwarten. Mit Angst arbeiten diejenigen, die die große Koalition für alternativlos und Neuwahlen für unausweichlich erklären. Solche einfachen Wahrheiten haben wir bei der Kanzlerin immer zu Recht kritisiert.

Klingbeil: Die Alternativen lauten: Regierungsbeteiligung oder Neuwahlen. Soviel Realitätssinn erwarte ich von jedem. Ich bin mir übrigens absolut sicher, dass es nicht die Regierungspolitik der vergangenen vier Jahre war, die uns 20,5 Prozent beschert hat. Der Grund war vielmehr, dass wir uns als Partei völlig der Regierungslogik unterworfen haben. Dass wir nicht sichtbar waren und keine Debatten zugelassen haben. Es war kein Fehler, dass wir den Mindestlohn und die Rente mit 63 durchgesetzt haben.

Kühnert: Habe ich auch nicht behauptet. Im Gegenteil. Trotzdem haben wir nach diesen vier Jahren unser schlechtestes Wahlergebnis aller Zeiten eingefahren. Bei allem Respekt vor diesen Entscheidungen, die ich für richtig halte und auch nach außen immer verteidige, aber offenbar ist das zu klein, um dafür gewählt zu werden. Fürs Elterngeld plus trifft niemand seine Wahlentscheidung. Und wenn du auf die Rentenmaßnahmen eingehst, die kann man ewig so weiterführen. Wir bekommen Rente mit 63 und die CSU wird irgendwann ihren 20. Mütterrentenpunkt bekommen. Aber für meine Generation steht die Frage im Raum: Gibt’s hier in Zukunft noch eine den Lebensstandard sichernde Rente? Dazu schweigt der neue Koalitionsvertrag auch wieder.
Was machen die Jusos, wenn die Mitglieder für die große Koalition stimmen?

Kühnert: Wir werden das tun, was die Befürworter der großen Koalition im Falle einer Niederlage hoffentlich auch tun werden – in der SPD weiterarbeiten. Es sind gerade 25.000 Leute eingetreten. Nach meiner Wahrnehmung sind sehr viele von ihnen vor allem am Erneuerungsprozess interessiert. Denen wollen wir weiterhin eine Stimme geben, ganz egal, wie das jetzt ausgeht.

Wie lassen sich diese Neuen ­langfristig einbinden?

Klingbeil: Wir werden mehr Beteiligungsmöglichkeiten für alle schaffen. Für die inhaltliche Neuaufstellung werden wir zum Beispiel digitale Themenforen einrichten, in denen alle unabhängig von Zeit und Ort diskutieren können. Und wir brauchen sozial­demokratische Antworten auf die großen gesellschaftlichen Fragen unserer Zeit. Was ist unsere Alternative zum bedingungslosen Grundeinkommen? Wie muss sich der Sozialstaat in einer digitalisierten Welt aufstellen? Diese Diskussionen müssen geführt werden, unabhängig von dem, was gerade tagespolitisch ansteht. Und damit werden wir loslegen, sobald die Entscheidung über die Regierungsbildung getroffen ist. Wir arbeiten mit Hochdruck an der Erneuerung der SPD.

Stichwort SPD erneuern: Angenommen es kommt zur großen Koalition: Ist eine Erneuerung in der Regierung möglich?

Klingbeil: Ja. Wir können beides.

Kühnert: Weder Koalition noch Opposition entscheiden automatisch über Erholung oder Untergang. Aber wer nach dieser Wahlklatsche weiterregieren will, sollte eine Idee haben, wie es dieses Mal besser ausgehen kann. Es reicht nicht aus, nur zu sagen, ein „Weiter so“ darf es nicht geben. Man muss auch sagen, wie ein neuer Regierungsstil aussehen soll. Wie will man dafür sorgen, dass es Debatten im Parlament gibt, bei denen Unterschiede feststellbar sind? Diese neue politische Kultur, die dafür nötig wäre, atmet dieser Koalitionsvertrag nicht.

Klingbeil: Ob die SPD die Erneuerung schafft, hängt nicht von Angela Merkel ab, sondern von uns selbst. Die entscheidende Frage ist, ob wir den Fehler der letzten vier Jahre wiederholen, die Parteilogik der Regierungslogik zu unterwerfen. Ich erinnere mich noch genau an die Debatte über Vorrats­datenspeicherung, wo mir gesagt wurde, du darfst jetzt nicht dagegen sein, weil wir regieren. Das muss anders werden! Schon im Wahlprogramm haben wir gemerkt, dass uns die großen inhaltlichen Projekte fehlen. Wir müssen jetzt damit anfangen, unsere Programmatik für das nächste Jahrzehnt zu entwickeln.

Braucht die SPD ein neues ­Grundsatzprogramm?

Kühnert: Das ist eine Forderung der Jusos. Die Welt hat sich in den elf Jahren seit dem jüngsten Grundsatzprogramm fundamental gewandelt. Es würde zu einer selbstbewussten, einer mutigen SPD passen, mal wieder unabhängig vom eigenen Regierungshandeln gesellschaftliche Entwicklungen zu bewerten. Internationaler Terrorismus, Vermögensverteilung, Rechtsruck in Europa, Klima, Digitalisierung und manches mehr. Dafür braucht es sicherlich einen Grundsatzprogrammprozess.

Wo sehen Sie die SPD in zwei Jahren?

Kühnert: Na, hoffentlich als starke linke Volkspartei, die zusammengeblieben sein wird, egal, wie das mit dem Mitgliedervotum ausgeht. Ich wünsche mir, dass es eine SPD ist, die eine klare Idee davon entwickelt hat, wie sie der Digitalisierung der Arbeitswelt, dem Klimawandel und dem aufflammenden Nationalismus begegnen möchte – und wie sie dafür bei der nächsten Bundestagswahl, wann immer die sein wird, ein politisches Programm anbieten will. Dafür werden wir auch neue Koalitionsoptionen brauchen. Ich glaube, dass so auch die Sehnsucht mancher Menschen nach vermeintlichen Alternativen wieder kleiner werden kann. Aber Voraussetzung Nummer eins bleibt, dass wir bis dahin nicht noch mehr Vertrauen verspielen.

Klingbeil: Ich arbeite hart dafür, dass wir in zwei Jahren sehen, dass es eine neue Debattenkultur und eine neue Führungs- und Vertrauenskultur in der SPD gibt. Dass zu den tausenden Neumitgliedern noch viele dazugekommen sind, weil die SPD ein attraktiver Ort ist, um Politik zu gestalten. Und dass ­Andrea Nahles als Parteivorsitzende die SPD in der Bundesregierung zu einem sichtbaren sozialen Gegengewicht zur Union gemacht hat. Denn nur, wenn wir unsere politischen Ideen auch umsetzen, gewinnen wir das Vertrauen der Menschen zurück.

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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