Johanna Uekermann: Die SPD braucht eine Jugendquote
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In den vergangenen Tagen wurde mal wieder über die Einführung eines Pflichtjahrs für junge Menschen in Deutschland diskutiert. Wie stehen Sie dazu?
Von einem Pflichtjahr halte ich gar nichts! Ich bin fest davon überzeugt, dass Engagement freiwillig sein sollte. Es gibt so viele Beispiele, wo sich junge Leute in ganz unterschiedlichen Bereichen nach ihren Interessen engagieren. Ein verordneter Dienst ist dagegen kontraproduktiv. Viel sinnvoller ist es, die Rahmenbedingungen für die Möglichkeiten des Engagements zu stärken, die es bereits gibt – etwa den Bundesfreiwilligendienst. Es braucht aber auch schlicht genug Freiräume für Engagment in Vereinen und Jugendverbänden.
Im Antrag für den Bundesparteitag „Demokratie und Teilhabe leben – von Anfang an!“, den Sie maßgeblich mit erarbeitet haben, macht der Parteivorstand Vorschläge, wie junge Menschen besser an der Demokratie beteiligt werden können. Wo liegen zurzeit die Probleme?
Junge Menschen wollen sich einbringen und beteiligen. Zurzeit sieht man das ja etwa bei „Fridays for Future“. Trotz des vielfältigen Engagements fallen die Themen, die junge Leute beschäftigen, zu oft unter den Tisch. Hinzu kommen Strukturen, die es jungen Menschen schwer machen, sich zu engagieren und gehört zu werden. Das gilt für Parteien ebenso wie für Parlamente, in denen junge Leute meistens unterrepräsentiert sind. Zudem ist politisches Engagement viel zu stark von Bildungshintergrund und anderen sozialen Faktoren, wie der finanziellen Lage junger Menschen abhängig. Wir wollen deshalb beides: Strukturen und Gesellschaft für junge Leute öffnen, damit sie sich besser einbringen können. Und gleichzeitig Kinder- und Jugendarmut und andere Faktoren, die gesellschaftliche Teilhabe behindern, bekämpfen.
Für Kinder plant die SPD die Einführung eine Kindergrundsicherung. Diese greift für Jugendliche zu kurz, wie im Antrag deutlich wird. Warum?
Viel zu oft wird Kinderarmut zu Jugendarmut und diese zu Erwachsenenarmut. Da gibt es einen klaren Zusammenhang. Jugendliche haben allerdings eigene Anforderungen, weil sie in einer anderen Lebenssituation sind als Kinder. Sie fangen ihre erste Arbeit an, ziehen zuhause aus. Dadurch fallen sie aus Förderungen oder bestimmten Sozialleistungen raus und geraten aus dem Blickfeld. Unser Ziel ist deshalb, Jugendlichen zu stärken und auf ihrem Weg zu begleiten. Wir müssen sicherstellen, dass jeder Jugendliche einen Ausbildungsplatz bekommt und wir müssen größere Anstrengungen unternehmen, dass Jugendliche ihren Schulabschluss nachholen können.
Sie haben bereits erwähnt, dass viele Jugendliche ein Interesse haben, sich politisch zu engagieren. Die aktuelle Shell-Jugendstudie belegt diesen Trend. Was muss die Politik tun, um sie bei der Stange zu halten?
Am wichtigsten ist, dass junge Menschen ihren Forderungen Gehör verschaffen können – sei es beim Klimaschutz oder in sozialen Fragen. Dabei müssen sie die Erfahrung machen, dass es Folgen hat, wenn sie sich einbringen und ihr Engagement nicht verpufft. Was es nicht braucht sind Parallelstrukturen, in denen junge Menschen sich zwar äußern können, sie aber nichts mitzureden haben, wenn es um Entscheidungen geht. Das frustriert und macht wütend. Wir brauchen eine echte Beteiligung junger Menschen und eine Demokratisierung der Strukturen in denen sich junge Menschen tagtäglich bewegen, wie Schule, Ausbildungsplatz und Berufsschule oder Universität. Demokratie ist keine Übung, sondern die Form unseres Zusammenlebens. Auch für die SPD bedeutet das, dass sie sich mehr öffnen muss.
Welche Rolle spielt politische Bildung dabei?
Eine ganz wesentliche! Mit politischer Bildung erreichen wir, wenn sie gut umgesetzt wird, alle Kinder und Jugendlichen. Schon in der Schule muss es Möglichkeiten geben, sich mit aktuellen politischen Fragestellungen auseinanderzusetzen. Deshalb fordert die SPD politische Bildung schon ab der ersten Klasse und das Wahlalter entsprechend generell auf 16 Jahre zu senken.
Was genau versprechen Sie sich von einer Absenkung des Wahlalters?
Mit einem niedrigeren Wahlalter werden junge Menschen und die Themen, die sie bewegen, zu einem stärkeren Faktor in Gesellschaft und Politik. Wer wählen darf und gewählt werden kann, bringt eine neue Perspektive auf Vieles ein. Das kann und wird für die Politik und die Demokratie sehr bereichernd sein. Außerdem finde ich es schlicht richtig, dass junge Menschen mitentscheiden, wenn es um ihr Leben und ihre Zukunft geht.
Für die SPD fordern Sie im Antrag eine Jugendquote für alle Wahllisten sowie einen Juso-Platz für alle Parteigremien. Die Antragskommission hat beides gestrichen. Wie wollen Sie den Parteitag von der Jugendquote überzeugen?
Die Forderung nach mehr Repräsentanz junger Menschen in der SPD wurde im Gesprächskreis Jugend, in dem sehr unterschiedliche Jugendvertreter sitzen, sehr breit geteilt. Dass die Antragskommission das anders sieht, finde ich schade. Ich bin aber fest davon überzeugt, dass die SPD über kurz oder lang nicht daran vorbeikommen wird, sich an dieser Stelle zu bewegen. Wir brauchen eine verbindliche Lösung, um die Teilhabe junger Menschen in Partei und Parlamenten sicher zu stellen.
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Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.