Parteileben

Jenseits von Revolution und Erlösung

von Claus Leggewie · 8. Februar 2011
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Schon der Titel des neuen SPD-Programmentwurfs ist bespöttelt, das Programm selbst harsch kritisiert worden. "Dem Fortschritt eine neue Richtung geben" ist aber kein schlechter Titel, vor allem, wenn ihm das Programm auch entsprechen würde, was bisher noch nicht der Fall ist. Auf der Klausurtagung wurde kontrovers diskutiert, ob sich eine Partei im Allgemeinen und insbesondere die SPD überhaupt noch mit "Fortschritt" identifizieren lassen solle.

Schon die Frage erscheint mir - kein SPD-Mitglied, aber ein "sozialer Demokrat"- seltsam. Selbstverständlich sollte die SPD sich weiterhin den Fortschrittsbegriff zu eigen machen. Denn es war die historische Leistung der SPD, der Utopie eines irgendwann - im Jenseits oder im Kommunismus - zu erreichenden besseren Menschen die konkrete Vision einer verbesserungsfähigen Gesellschaft entgegenzusetzen. Daraus schuf die SPD ein Projekt permanenter Reformen. Statt darauf zu warten, dass nach einer Revolution oder dem Jüngsten Gericht alles anders und dauerhaft gut wird, arbeiten Sozialdemokraten daran, die Lebensverhältnisse im Hier und Jetzt allmählich zu verbessern: Ungerechtigkeit zu überwinden, Demokratie zu verwirklichen und allen den Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen und zur wohlfahrtsstaatlichen Kompensation privater Missgeschicke zu ermöglichen. Das ist Fortschritt.

Rückschläge gehören dazu

Er ist ohne Rückschläge nicht denkbar. Und die Erfahrung von Rückschlägen hat die SPD ja auch gemacht. Dennoch hat sie - richtigerweise - von ihrem Bemühen nicht abgelassen. Eine neue Richtung bekommt der Begriff Fortschritt heute, weil er zwei wesentlichen Einschränkungen unterliegt. Zum einen beruhte die Expansion öffentlicher Wohlfahrt seit den 1970er Jahren zu stark auf einer (zuletzt galoppierenden) Staatsverschuldung, ging also auf Kosten künftiger Generationen. Zweitens geht unsere Wirtschaftsweise generell auf Kosten der natürlichen Umwelt und Zukunft: Die biologische Vielfalt sinkt rasant und kostenreich. Die Erdatmosphäre wird durch Treibhausgase und Schadstoffe stark geschädigt.

Die Richtungsänderung muss nun darin bestehen, unter Beibehaltung klassischer Ziele wie sozialer Gerechtigkeit und Gleichheit, die Marktwirtschaft nachhaltiger zu gestalten und für Generationen-Gerechtigkeit zu sorgen. Beides übrigens nicht nur in Deutschland und Europa. Nachhaltigkeit ist per se eine globale Aufgabe. Fortschritt ist dann nicht mehr durch Wirtschaftswachstum und technische Innovation bestimmt, er bekommt eine neue, eine soziale und ökologische Dimension.

Das ist sehr anspruchsvoll und steht unter immensem Zeitdruck, müsste aber z.B. bei jeder Hartz-IV-Nachverhandlung durchscheinen und auch Wahlkämpfe bestimmen. Und es ist - das würde ich auch der Union und den Grünen sagen - viel zu wichtig, um es den Grünen allein zu überlassen.

Claus Leggewie ist Professor für Politikwissenschaft und Direktor des Kulturwissenschaftlichen Instituts in Essen.

Autor*in
Claus Leggewie

ist Professor für Politikwissenschaft. Seit 2007 ist er Direktor des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen (KWI).

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