Parteileben

"Je schneller wir umsteuern, desto sanfter ist der Aufprall!"

von Karsten Wenzlaff · 23. März 2009
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vorwärts.de: Tobias, Sie haben spontan auf dem Landesparteitag am 7.3. in Thüringen für den Landtag kandidiert und wurden nominiert. Wie kam es dazu?

Auf dem Landesparteitag haben die Delegierten die Zusammensetzung der Liste für die Landtagswahl in Thüringen am 30.8. gewählt. Da ein Kandidat überraschend seine Kandidatur zurückzog, war plötzlich ein Platz freigeworden, für den es zunächst keine Bewerber gab.


Mehrere Delegierte fragten mich daher, ob ich Interesse hätte, zu kandidieren. Da es noch drei Gegenkandidaten gab, kam es zu einer Wahl, die ich deutlich gewann.

Wie lange hatten Sie sich die Kandidatur überlegt?

Am Morgen des 7.3. hätte ich noch nicht geglaubt, abends Landtagskandidat zu sein. Meine maximale Bedenkzeit betrug wenige Minuten. Letztlich waren es aber wohl weniger als zehn Sekunden die ich von der für mich zuerst völlig überaschenden Frage bis zu meinem Ja brauchte.

Sie haben in Ihrer Bewerbungsrede gesagt, dass Platz 36 für Sie keine Zählkandidatur ist. Warum?

Wenn man begünstigende Faktoren wie rechnerische Rundungen, Überhangmandate und Parteien, die an der 5%-Hürde scheitern, ausklammert, brauchen wir am 30.8. rund 41 % der Stimmen um 36 Sitze im Landtag zu haben. Das ist ambitioniert, keine Frage, aber zum einen hat die SPD beispielsweise in Brandenburg schon deutlich bessere Ergebnisse erzielt, zum anderen waren wir in Thüringen noch nie so gut aufgestellt wie heute.

Was muss die SPD machen, damit sie 36 Abgeordnete in den Landtag entschickt?

Entscheidend ist, daß wir an uns selber glauben und auch nach außen entsprechend selbstbewußt auftreten. Thüringen schreit geradezu nach dem politischen Wechsel und die beiden anderen derzeit im Erfurter Landtag vertretenen Parteien haben weder personell noch inhaltlich nennenswerte Substanz anzubieten.

Die SPD bietet demgegenüber eine Landesliste voller qualifizierter und motivierter Frauen und Männer, die sofort bereit und in der Lage sind, die Verantwortung im Land zu übernehmen. Außerdem eine inzwischen geschlossene und entschlossene Führung, geleitet von einem hochkompetenten und kämpferischen Landesvorsitzenden Christoph Matschie, der längst auch bundesweit bekannt und zweifelsohne der Richtige für den Job des Ministerpräsidenten ist.

Was unterscheidet die Landtagswahl 2009 von der Landtagswahl 2004?
Vieles an dieser Situation ist ganz anders als vor 5 Jahren. Und zwar nicht obwohl, sondern gerade weil der Landesvorsitzende nach wie vor Christoph Matschie heißt.

Damals hat sich die Partei öffentlich selbst zerfleischt und wenig Siegeswillen ausgestrahlt. Der Spitzenkandidat war noch relativ unbekannt und die CDU damals außerdem sehr stark. Heute ist die SPD stark und geschlossen, Christoph Matschie bekannt und beliebt.

Wie ist es mit den anderen Parteien?

Wir haben es mit mit einer Landesregierung zu tun, die auf die drängenden Probleme keine Antworten weiß und stattdessen z.B. weiter auf einen Billiglohnstandort Thüringen setzt, wodurch uns jedes Jahr tausende Junge Menschen verlorengehen, die woanders für dieselbe Arbeit mehr Geld bekommen, während die Kaufkraft in Thüringen immer weiter sinkt.

Und die Menschen wissen, daß Märchenpolitik à la Linkspartei in der Realität nicht umsetzbar ist.

Das klingt nach viel Zuversicht.

Wir bieten Fachkompetenz in Kombination mit Vision, Realitätssinn und sozialer und ökologischer Verantwortung. Daher gibt es auch überhaupt keinen Grund, sich für den 30.August bescheidene Ziele zu setzen.

Wie lange sind Sie denn schon bei der SPD und wo sind Sie aktiv?

Zur SPD kam ich 2006. Ich hatte mich schon sehr lange mit der Partei beschäftigt und auch schon länger vorgehabt, beizutreten. Als ich dann seinerzeit in Bad Blankenburg auf dem Parteitag war, habe ich mich gefragt, wie ich so lange dafür brauchen konnte.


2007 habe ich in Gera den Juso-Kreisvorsitz übernommen, wo ich gemeinsam mit Melanie Siebelist und Martin Müller einen aktiven Juso-Kreisverband aufgebaut habe. Seit 2008 bin ich außerdem im SPD-Kreisvostand in Gera und im Landesvorstand der ASJ (Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen) aktiv.

Welche Reaktionen gab es aus Gera und aus dem Parteivorstand auf Ihre erfolgreiche Kandidatur?

Viele Gratulationen. Sowohl das Freiwerden desListenplatzes, als auch meine Kandidatur und Wahl kamen ja völlig überaschend. In Gera war uns wichtig, daß unsere beiden Direktkandidaten Wolfgang Lemb und Sigrid Müller auf die Liste kamen. Daß Gera am Ende mit mir noch einen dritten Kandidaten auf der Liste haben würde, damit hätte keiner von uns gerechnet.


Welche Schwerpunkte wollen Sie im Wahlkampf setzen?

Generell ist mir für die kommende Landtagswahl wichtig, daß auch die Bevölkerung die Stärke der SPD erkennt. Daher müssen wir auch entsprechend selbstbewußt auftreten und für ein entsprechendes Ergebnis kämpfen. Ich meine das, was ich zu meinem Listenplatz gesagt habe, ernst.

Inhaltlich gibt es sehr vieles anzupacken, was von der bisherigen Landesregierung leider versäumt wurde und was mir am Herzen liegt, beispielsweise in der Innen- und der Justizpolitik, oder bei der Bekämpfung des demographischen Wandels, gerade bei letzterem drängt die Zeit, da uns jedes Jahr tausende junge Menschen verloren gehen.

Sie haben in Ihrer Rede auf dem Parteitag die Energiepolitik angesprochen. Warum ist Ihnen dieses Themenfeld wichtig?

Seit meiner Kindheit bin ich über die Verantwortungslosigkeit wütend, mit der meiner und den kommenden Generationen durch Ressourcenverschwendung und Vorantreiben des Klimawandels die Existenz zerstört wird. Das muß sich dringend ändern.

Das letzte Jahr hat gezeigt, daß es auch wirtschaftlich nicht mehr länger zu verantworten ist, auf fossile Energieträger zu setzen. Im vergangenen Winter haben wir zudem gesehen, wie erpreßbar wir z.B. beim Erdgas sind.

Es liegt in der Natur der Sache, daß fossile Energieträger knapper und dadurch teurer werden, während erneuerbare Energien meist kostenlos sind und lediglich die Anfangsinvestition für den Bau der Anlage benötigen. Da Erdöl und Erdgas sehr bald auf neue Rekordpreise schnellen werden, fahren wir bislang fast ungebremst auf eine Wand zu.

Je schneller wir umsteuern, desto sanfter wird der Aufprall. Thüringen bietet dabei eine Menge Potential für erneuerbare Energien und kann von der Energiewende erheblich profitieren.

Was muss in Thüringen passieren, um dort eine Energiewende zu erreichen?

Zunächst einmal muß die nächste Regierung von der SPD angeführt werden.

Thüringen hat geographisch einen großen Vorteil bei der Nutzbarkeit der klassischen regenerativen Energien. Gerade was die Nutzung der Solarenergie betrifft, ist das Potential an noch ungenutzen Standorten riesig. Hinzu kommen z.B. Erdwärme und die Biomassenutzung, bei der z.B. die SPD-geführte Gemeinde Schlöben im Saale-Holzland-Kreis Vorreiter ist.

Was aber längst überfällig ist, ist z.B. der Ausbau der Biogasproduktion. Hier lassen sich landwirtschaftliche Abfallprodukte, die wir in Thüringen reichlich haben, entsorgen und gleichzeitig Methan produzieren, welches sich dann aufbereiten und ins Erdgasnetz einspeisen läßt. U.a. in Brandenburg wird dies schon erfolgreich betrieben. So lassen sich gleichzeitig der CO2-Ausstoß durch die Verbrennung von Erdgas und die Abhängigkeit von Rußland reduzieren.

Gleichzeitig werden Arbeitsplätze in Thüringen geschaffen und das für Gas bezahlte Geld fließt nicht mehr an Gazprom sondern bleibt im Freistaat und erhöht hier die Kaufkraft. Für den Endverbraucher ändert sich nichts, da Biogas und Erdgas physikalisch gleich sind.

Was muss sich an der Mobilitätspolitik ändern?

Eine wichtige Maßnahme ist, bei der Neuanschafung von Fahrzeugen (und das Land besitzt durch seine Behörden viele Dienstwagen) darauf zu achten, keine Fahzeuge mehr zu kaufen, welche auf Benzin oder Diesel festgelegt sind. Alternativen sind längst in Serie verfügbar und sparen erhebliches Geld, da Benzin und Diesel zu den teursten verfügbaren Kraftstoffen zählen und in Zukunft noch unkalkulierbar weit steigen werden.

Eine Landesregierung muß sich bewußt sein, daß sie mit ihrer Kaufkraft als Großkunde einen erheblichen Einfluß darauf hat, welche Fahrzeuge nachgefragt und damit angeboten werden. Sie muß ihre Kaufentscheidung daher im vollen Bewußtsein ebendieser Verantwortung treffen.

Vorausschauend wäre es zudem, das Projekt Better Place von Shai Agassi für Thüringen zu gewinnen, welches in Israel, Dänemark, den USA und Kanada bereits die Infrastruktur für eine 100%ige Elektromobilität schafft. Agassihat bereits Interesse an einem Einstieg in Deutschland bekundet.

Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg für den Wahlkampf!

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Autor*in
Karsten Wenzlaff

war Online-Redakteur bei vorwaerts.de und Social-Media-Manager im vorwärts-Verlag.

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