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Jakob Maria Mierscheid: 90. Geburtstag eines Hinterbänklers

Kaum ein Hinterbänkler ist so bekannt wie er: Seit 1979 gehört der fiktive SPD-Abgeordnete Jakob Maria Mierscheid dem Bundestag an. Am Mittwoch feiert er seinen 90. Geburtstag, ist selbst jedoch verhindert.
von Jonas Jordan · 1. März 2023
Der „Mierscheid-Steg“ verbindet das Elisabeth-Lüders-Haus und das Paul-Löbe-Haus im Bundestag.
Der „Mierscheid-Steg“ verbindet das Elisabeth-Lüders-Haus und das Paul-Löbe-Haus im Bundestag.

Als der Bundestag im Jahr 1999 von Bonn nach Berlin umzog, gehörte Jakob Maria Mierscheid ihm schon 20 Jahre lang an, inzwischen sind es 44. Damit ist der Schneidermeister aus dem Hunsrück nach Wolfgang Schäuble der Abgeordnete im Bundestag mit der längsten Parlamentszugehörigkeit. Am Mittwoch feiert er seinen 90. Geburtstag. Zu diesem Anlass berichten an diesem Tag zahlreiche Medien über ihn als einen „fiktiven Abgeordneten“.

Dagegen spricht, dass er bei seinen Kolleg*innen innerhalb der Fraktion sehr geschätzt wird. So schreibt etwa die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin Katja Mast: „Jakob Maria Mierscheid bereichert bis heute mit Charme und Charakter unser Parlament auf ganz besondere Weise – 90 Jahre alt und noch viel vor. Wir gratulieren Dir, Jakob Mierscheid! Geburtstagsgrüße gehen heute von der gesamten Fraktion raus!“ Auch seine rheinland-pfälzische Fraktionskollegin Verena Hubertz schreibt: „90 Jahre alt, aber heute noch genauso fleißig wie damals: Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag in den Nachbarwahlkreis, lieber Jakob Maria Mierscheid!“ Und auch Bundestagspräsidentin Bärbel Bas sagt in einem Video: „Dass er ein Phantom sei, hat er stets abgestritten. Sicher ist aber, als guter Geist des Parlaments wirkt Jakob Mierscheid im Deutschen Bundestag seit 1979.“

Am 1. März 1933 wurde der inzwischen verwitwete vierfache Vater in Morbach im Hunsrück geboren. Bereits vor zehn Jahren wurde dort zu seinem 80. Geburtstag ein 11,3 Kilometer langer Wanderweg nach ihm benannt, der laut Wikipedia zu den „Traumschleifen des Saar-Hunsrück-Steiges zählt“. In seiner Heimatgemeinde ist am Mittwoch laut SWR eine große Feier zum 90. Geburtstag des berühmten Sohnes geplant. Die Spitzen der deutschen und rheinland-pfälzischen Politik wollen den langjährigen Bundestagsabgeordneten Jakob Maria Mierscheid ehren. Ob dieser sich bei der Gelegenheit auch blicken lässt, ist zumindest anzuzweifeln.

Mierscheid-Gesetz im „vorwärts“ veröffentlicht

Denn zum einen ist gerade Sitzungswoche in Berlin, zum anderen gibt es auch dort nur wenige, die den Hinterbänkler schon mal erblickt haben. Dabei hat er politisch durchaus Spuren hinterlassen. Nicht nur, dass eine Brücke, die zwei Bundestagsgebäude miteinander verbindet, im politischen Berlin inzwischen als „Mierscheid-Steg“ bekannt ist. Schon früher machte er sich durch das „Mierscheid-Gesetz“ einen Namen, das 1983 erstmals im „vorwärts“ veröffentlicht wurde. Wie könnte es auch anders sein?

Demnach richtet sich der Stimmenanteil der SPD bei Bundestagswahlen in Prozent nach dem Index der deutschen Rohstahlproduktion in Millionen Tonnen im jeweiligen Wahljahr. Dadurch ergaben sich häufig bessere Prognosewerte als mit den wissenschaftlich fundierten Wahlprognoseverfahren. Die Genauigkeit des Gesetzes wurde etwa im Jahr 2002 ziemlich gut bestätigt: Die Rohstahlproduktion betrug 38,6 Millionen Tonnen, der Stimmenanteil der SPD bei der Bundestagswahl lag bei 38,5 Prozent.

Am Mittwoch fehlte Mierscheid im Plenum des Bundestages. Eigentlich habe er während der Regierungsbefragung eine Frage an Finanzminister Christian Lindner stellen wollen, wie sein hessischer Fraktionskollege Jens Zimmerrmann in Vertretung sagte. Lindner ließ daraufhin Grüße an den Jubilar ausrichten.

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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