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Haushaltsexperte Schneider: Werden Maastricht-Kriterien nicht halten können

von Karsten Wiedemann · 30. März 2009
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vorwärts.de: Derzeit erreichen uns täglich neue Schreckensmeldungen. Die Wirtschaft schrumpft stärker als erwartet, die Zahl der Arbeitslosen steigt. Wann ist mit einem Ende der Krise zu rechnen?

Carsten Schneider: Niemand kann seriös einschätzen, wann die Krise vorbei ist. Es gibt Hoffnungen, dass es im zweiten Halbjahr 2009 besser wird. Ich bin da aber vorsichtig. Ich glaube, dass wird sich bis 2010 hinziehen. Und es wird politisch auch noch eine ganze Reihe von Fragen aufwerfen, die wir uns bisher noch nicht gestellt haben. Zum Beispiel was die Sicherung von an sich gesunden Unternehmen angeht, die durch die Krise keine Finanzierung mehr bekommen. Wir müssen uns fragen, wie stark der Staat eingreifen, wie stark er sich verschulden soll.

Solle die Bundesregierung sich entscheiden, Opel zu helfen, wäre das also nicht das Ende der Fahnenstange?

Ich vermute nein. Wir erleben derzeit, dass größere Unternehmen von 500 bis 5000 Mitarbeitern Schwierigkeiten haben, an Geld zu kommen. Dort tun sich teilweise Finanzierungslücken auf, die diese Unternehmen in große Schwierigkeiten bringen. Diese Unternehmen sind aber an und für sich gesund. Da müssen wir uns überlegen, ob wir uns beteiligen oder sie pleite gehen lassen

Müsste der Staat das Kreditgeschäft weiter ankurbeln?


Da kommen zwei Entwicklungen aufeinander. Zum einen die Abwärtsspirale in der Bewertung der faulen Wertpapiere. Dies führt bei den Banken dazu, dass sie immer stärker mit Eigenkapital unterlegen müssen. Das Kapital haben sie dann nicht mehr für das normale Kreditgeschäft.

Zweitens haben wir auch in der realen Wirtschaft schlechte Zahlen und damit mögliche Kreditausfälle von Bestandskunden. Das führt dazu, dass die Banken sich zurückziehen. Das ist an und für sich normal. Aber in der jetzigen Extremsituation führt dazu das dazu, dass es für gesunde Unternehmen, die ein zwei Jahre überbrücken müssen, sehr eng werden kann.

Brauchen wir ein weiteres Konjunkturpaket?

Ich halte die Stimulanzen, die wir jetzt mit den Investitionen gemacht haben, für ausgereizt. Mehr geht in den nächsten zwei Jahren nicht. Auch die anderen Maßnahmen, die zur Stärkung der Nachfrage dienen, also beispielsweise die 100 Euro Kinderbonus oder die Dämpfung der Krankenkassenbeiträge, haben die öffentlichen Kassen zwar nicht überbelastet, aber das Ende der Fahnenstange ist erreicht. Die Binnennachfrage sieht ja auch noch ganz gut und stabil aus.

Steuerschätzer erwarten, dass die Steuernahmen in diesem Jahr wegen der Krise umrund 25 Milliarden Euro niedriger ausfallen könnten als im letzten Jahr. Was bedeutet das für die öffentlichen Haushalte und für die Haushaltspolitik?

Das bedeutet, dass wir 2009 die Maastricht-Kriterien nicht einhalten werden. 2010 und 2011 wird es schwierig sein, sie wieder zu erreichen. Nach der Krise werden wir uns über Refinanzierung des Defizits zu unterhalten haben.

Die Defizite die wir jetzt in der Krise gehen sind richtig, aber wir müssen sie in guten Zeiten wieder ausgleichen. Das wird die kommende Legislaturperiode deutlich bestimmen.

Steuersenkungen sind also vorerst nicht drin?

Die halte ich für illusorisch und ausgeschlossen. Wir müssen eher darüber nachdenken, wie wir die Steuern, die Einnahmenseite der öffentlichen Haushalte verbreitern, um die Defizite zu decken. Da geht es vor allem darum, diejenigen, die in den vergangenen Jahren stark vom Kapitalmarkt profitiert haben und die Krise mit verursacht haben, über eine Börsenumsatzsteuer an der Refinanzierung zu beteiligen. Deswegen kann man nicht von Steuersenkungen reden, sondern muss gezielte Steuererhöhungen, wie die Börsenumsatzsteuer, ins Auge fassen. Da wird man nicht drum herum kommen.

Interview: Karsten Wiedemann




Autor*in
Karsten Wiedemann

Redakteur bei vorwaerts.de bis September 2009, jetzt Redakteur bei Neue Energie, dem Magazin des Bundesverbands für Windenergie

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