vorwärts.de: Fritz Rudolf Körper, seit Anfang des Jahres gilt das BKA-Gesetz. Es regelt die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Kriminalpolizeilichen Angelegenheiten. Warum war das Gesetz nötig?
Fritz Rudolf Körper: Die Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus ist eine gesamtstaatliche Aufgabe mit internationalen Bezügen. Daher hatte das Bundeskriminalamt bereits in der Vergangenheit eine zentrale Funktion bei der Verhütung und Verfolgung von Straftaten mit länderübergreifender oder internationaler Bedeutung. Maßnahmen zur Gefahrenabwehr waren bislang jedoch nur auf der Länderebene möglich.
Dies bedeutete, dass zunächst örtliche Zuständigkeiten abgeklärt und Maßnahmen zwischen mehreren betroffenen Bundesländern abgestimmt werden mussten. Und das trotz dringender Gefahren für Leib
und Leben der Bevölkerung. Daher wurde auf Initiative der SPD-Bundestagsfraktion in der 1. Stufe der Föderalismusreform die Möglichkeit geschaffen, dem Bundeskriminalamt (BKA) die Gefahrenabwehr
im terroristischen Bereich zu ermöglichen.
Teile der SPD stehen dem Gesetz sehr kritisch gegenüber. Warum gibt es das Gesetz trotzdem?
Der Gesetzentwurf des Bundesinnenministers wurde von uns nie rundweg abgelehnt - wir fanden nur, dass die operativen Befugnisse zu weitgehend und zu ungenau formuliert waren. Deshalb haben wir
und das Bundesjustizministerium mehrere Jahre mit dem Bundesministerium des Inneren um eine verfassungsrechtlich saubere Lösung gerungen.
Welche Verbesserungen hat die SPD denn durchgesetzt?
Zunächst wurde in
Verhandlungen zwischen Bundesinnen- und Bundesjustizministerium das gesamte Gesetz überarbeitet. Dann wurde auf Druck der SPD-Fraktion das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur sogenannten
Online-Durchsuchung abgewartet. Dieses Urteil vom 27. Februar 2008 war überaus hilfreich. Online-Durchsuchungen sind danach nur mit richterlicher Anordnung erlaubt.
Der Eingriff ist im Übrigen nur zulässig, wenn es tatsächliche Anhaltspunkte dafür gibt, dass eine konkrete Gefahr besteht für "Leib, Leben und Freiheit der Person oder solche Güter der
Allgemeinheit, deren Bedrohung die Grundlagen oder den Bestand des Staates oder die Grundlagen der Existenz der Menschen berührt".
Ist das alles?
Über die Vorgaben des Urteils hinaus haben wir bei der Onlinedurchsuchung erreicht, dass nicht nur der weisungsunabhängige Datenschutzbeauftragte des BKA hinzugezogen werden muss, sondern immer ein Gericht darüber entscheidet, ob erhobene Daten den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung betreffen und daher gelöscht werden müssen.
Weitere Erfolge sind die Streichung der Eilfallregelungen für Rasterfahndung und Onlinedurchsuchung. Auch bei Gefahr im Verzug ist es daher nicht möglich, die richterliche Zustimmung erst nachträglich einzuholen. Dann haben wir die Datenübermittlung an die Geheimdienste dahingehend beschränkt, dass die Datenweitergabe nur zulässig ist, wenn konkrete Tatsachen dafür vorliegen, dass die Daten zur Erfüllung bestimmter, zentraler Aufgaben "erforderlich" sind.
Schließlich haben wir erreicht, dass Geistliche, Strafverteidiger und Abgeordnete unbeschränkt die Auskunft über Tatsachen verweigern können, die ihnen in dieser Eigenschaften von anderen
Menschen anvertraut wurden. Es geht also nicht um den Schutz dieser Personen selbst sondern um den Schutz derjenigen, die sich ihnen anvertraut haben.
Vielen Menschen reichen diese Verbesserungen nicht. Wenn Online-Durchsuchungen, Observationen und Lauschangriffe präventiv und ohne Tatverdacht möglich sind, wer kann sich dann noch
sicher fühlen?
Gerade für die Sicherheit der Menschen ist Prävention wichtiger als Ermittlungen auf der Basis eines Tatverdachts - also nachdem ein Anschlag oder andere Straftaten bereits geschehen sind. Es
ist doch umgekehrt: Aus meiner Sicht wäre es nicht hinnehmbar, wenn die Menschen schutzlos blieben und der Staat erst nach vollendetem Verbrechen - also auf der Basis eines Tatverdachts - und
nicht zur Verhinderung dieses Verbrechens einschreiten darf. Das heißt aber keineswegs, dass das BKA nun einfach ins Blaue hinein tätig werden dürfte. Präventive Maßnahmen sind nur zulässig, wenn
bestimmte Tatsachen vorliegen, welche die Annahme einer konkreten Gefahr rechtfertigen.
Wer kontrolliert, dass das BKA nicht übers Ziel hinausschießt?
Wie immer: die Gerichte. Damit das auch funktioniert, besteht eine Benachrichtigungspflicht gegenüber den von heimlichen Maßnahmen Betroffenen. Dann haben auch diese Personen die Möglichkeit, eine gerichtliche Überprüfung der Maßnahme zu veranlassen. Ausnahmen von der Benachrichtigungspflicht gibt es nur einerseits für Bagatellfälle und andererseits für die Fälle, in denen eine Benachrichtigung die Gefahr schwerer Schäden von Personen oder für den Bestand des Staates hervorrufen würde. Das führt dann in aller Regel nur zu einer Zurückstellung der Benachrichtigung.
Mit Zustimmung des Gerichts kann ausnahmsweise nur dann von einer Benachrichtigung abgesehen werden, wenn nach fünf Jahren feststeht, dass die Gründe für die Zurückstellung mit an Sicherheit
grenzender Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft nicht entfallen.
Das Zeugnisverweigerungsrecht von Ärzten, Journalisten und Anwälten wurde eingeschränkt. Warum hat die SPD dem zugestimmt?
Das ist nicht richtig. Der Streit um das Zeugnisverweigerungsrecht ging vielmehr darum, wie weit dieses Recht über die Zeugenvernehmung hinaus ausgeweitet - ich wiederhole: ausgeweitet! -
werden soll. Den in der Frage genannten Berufsgruppen ging diese Ausweitung ihrer Rechte nicht weit genug, das nannten sie dann "Einschränkung ihrer Rechte". Ein Kampfbegriff, der sich leider
festgesetzt hat,
Dennoch ist dadurch die Vertrauenssphäre gestört, oder?
Es geht nicht um den Schutz des Zeugnisverweigerungsberechtigten sondern um den Schutz der Vertrauenssphäre, der mit diesen Berufsgruppen verbunden ist. Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass diese Vertrauenssphäre bei Geistlichen und Strafverteidigern zum Kernbereich privater Lebensgestaltung gehört und daher absolut zu schützen ist.
Dies bedeutet, dass nicht nur das Zeugnis in jedem Fall verweigert werden kann, sondern dass auch andere Maßnahmen unzulässig sind, soweit diese Maßnahme Tatsachen erbringen würde, über die das Zeugnis verweigert werden könnte.
Vertrauliche Mitteilungen beispielsweise gegenüber einem Journalisten gehören nicht in diesen Kernbereich. Dennoch haben wir auch hier über die Vernehmungssituation hinaus sämtliche Maßnahmen eingeschränkt, die zu Ergebnissen führen würde, über die das Zeugnis verweigert werden dürfte. Diese Einschränkung ist aber nicht absolut.
Das bedeutet, dass Maßnahmen einer gerichtlich überprüfbaren besonders strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung unterworfen wurden. Hierbei sind die Aufgaben dieses Personenkreises und das Interesse an der Geheimhaltung der ihnen mitgeteilten Informationen besonders zu würdigen. Dies betrifft unter anderem Ärzte, Journalisten und die Anwälte, die nicht als Strafverteidiger tätig sind.
Ich halte das für völlig richtig. Einen absoluten Schutz besonderer Berufsgruppen - der ja gleichzeitig den Schutz der Bevölkerung vor schwersten Straftaten einschränkt! - kann es nur als
Ausnahme geben.
Der Datenhunger nimmt zu, der Missbrauch mit solchen Daten auch. Wäre es nicht Aufgabe des Staates, seine Bürger besser davor zu schützen?
Schutz vor Datenmissbrauch ist zweifellos eine Aufgabe des Staates. Daher haben wir strenge Regeln über Datenlöschung, Datenweitergabe und gerichtliche Kontrolle verankert. So ist bei der Onlinedurchsuchung sicherzustellen, dass die datentechnischen Veränderungen auf das unerlässliche Minimum beschränkt werden, dass sie möglichst automatisiert rückgängig gemacht werden und dass eine unbefugte Nutzung und Veränderung ausgeschlossen wird.
Sämtliche Eingriffe sind im Detail zu dokumentieren, sowohl im Hinblick auf ihre spätere gerichtliche Verwertbarkeit als auch im Hinblick auf Rechtsmittel der Betroffenen gegen die Maßnahme.
Wir sind stolz auf unsere freiheitliche Gesellschaft. Aber wer sich überwacht fühlt, fängt an, sich selbst zu zensieren. Wie groß ist die Gefahr, dass die Freiheit - wenn vielleicht auch
unfreiwillig - zugrunde geht?
Unsere Freiheit geht zugrunde, wenn die Menschen Angst davor haben müssen, ihre Grundfreiheiten wahrzunehmen. Das wäre in extremem Maß der Fall, wenn Deutschland terroristischen Angriffen wehrlos ausgesetzt wäre. Die Maßnahmen, die gerade das verhindern, sind sogestrickt, dass von ihnen keine Gefahr für die Freiheit ausgeht. Niemand sollte sich von unsinnigen Parolen wie die vom "Überwachungsstaat" verunsichern oder gar einschüchtern lassen.
Interview: Susanne Dohrn