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FES-Inselseminar: Das visionäre Manifest

Werte, Ideale, gar Visionen? Interessiert sich in der Politik heute noch jemand dafür? Dieser Frage gingen im Juni 30 junge Menschen in Göhren auf Rügen nach. Zur Veranstaltung eingeladen hatte die Friedrich-Ebert-Stiftung. Ihre Forderungen an eine werteorientierte Politik verabschiedeten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in einem „Inselmanifest“. Ein Erfahrungsbericht.
von Tina Winter · 8. Juli 2015
Teilnehmerinnen und Teilnehmer des FES-Inselseminars
Teilnehmerinnen und Teilnehmer des FES-Inselseminars

Wir hetzen durch den (politischen) Alltag. Wir müssen Absprachen einhalten und oft sitzt das Geld nicht gerade locker. Entscheidungen, die unter diesen Bedingungen getroffen werden, sind in der Regel pragmatisch. Werte, Visionen und Ideale bleiben dabei häufig auf der Strecke.

Die Friedrich-Ebert-Stiftung entschied sich daher für die Abgeschiedenheit und Ruhe einer Insel, um uns Raum und Zeit zu geben, über die Frage nach Werten und Visionen in der Politik nachzudenken. Unsere erste Erkenntnis lautet: Alltagspolitik kann nur dann werteorientiert gestaltet werden, wenn es Zeit gibt, über das Grundsätzliche nachzudenken, um den Alltag in einen größeren Zusammenhang einzuordnen. Wer Weitblick entwickeln möchte, muss sich Ruhe und Zeit nehmen.

Visionen brauchen Wissen

Visionen, Werte und Ideale haben in der sozialen Demokratie eine bewegte Geschichte. In seinem Referat zeigte Christian Krell, Leiter der Akademie der Sozialen Demokratie und Mitglied der Grundwertekommission der SPD, uns dies eindrücklich. Die Werte Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität lassen sich ganz unterschiedlich begründen, haben aber einen sozialdemokratischen Nährboden, der unsere politische Identität prägt.

Die zweite Erkenntnis des Wochenendes: Unsere Grundwerte sind zwar mehr als 150 Jahre alt, aber alles andere als in die Jahre gekommen. Gerade die Auseinandersetzung mit ihnen ist ein unverzichtbarer Motor moderner sozialdemokratischer Visionen für eine bessere Gesellschaft von Morgen.

Visionen brauchen Streitkultur

Im politischen Alltag wird versucht, Konflikte zu vermeiden. Eigene Ideen werden im vorauseilenden Gehorsam zurückgestellt oder frühzeitig einem Kompromiss geopfert. Menschen, die für ihre Ideen konsequent streiten, werden zu oft als „Nestbeschmutzer“ behandelt. Eindrücklich waren hier die Schilderungen des Bundestagsabgeordneten Marco Bülow in einer Diskussion mit der Autorin Julia Friedrichs sowie unser Gespräch mit Mecklenburg-Vorpommerns Energieminister Christian Pegel.

Die Erkenntnis: Die Demokratie lebt zwar vom Kompromiss, aber es stellt sich die Fragen, ab wann man ihn suchen muss und bis wohin neuen Ideen ein freier Lauf gegeben werden muss, um Neues zu schaffen. Dafür ist eine angstfreie und wertschätzende Kommunikation notwendig. Wenn einer droht, verlieren alle.

Visionen brauchen konkrete politische Projekte

Die Öffnung politischer Gestaltungsspielräume, die Stärkung politischer Teilhabe, gelebte Solidarität, gerechte Verteilung von Vermögen und gleiche Bildungschancen bestimmten schließlich unsere Diskussionen zur Ausgestaltung des „Inselmanifests“ mit seinen elf Forderungen.

Gestaltungsmacht gewinnt die Politik aus unserer Sicht zurück, wenn die Schuldenbremse abgeschafft wird sollte sie notwendige Investitionen bremsen. Eine effektivere Erbschaftsbesteuerung sollte zudem dazu beitragen, dass der Staat mehr Geld einnimmt, um investieren zu können.

Solidarität als eine unverzichtbare Grundlage menschlichen Zusammenlebens muss schon in der frühkindlichen Bildung, in Schule und Universität als Wert erlebbar gemacht werden. Das Bildungssystem muss so gestaltet sein, dass der Erfolg nicht von der Herkunft abhängt und dass Integration und Durchlässigkeit gefördert werden. Meinungsbildungsprozesse müssen einen Rahmen erhalten, in dem Menschen gleichberechtigt und wertschätzend miteinander umgehen.

Politik muss transparenter werden

Die Bürgerinnen und Bürger müssen die Möglichkeit haben, sich gesellschaftspolitisch zu beteiligen, etwa indem die  Arbeitszeit auf eine 35-Stunden-Woche reduziert und eine auskömmliche, deutlich erhöhte Grundsicherung eingeführt wird.

Eine Bürgerversicherung sollte alle Menschen gleichermaßen in einer solidarischen Gemeinschaft absichern und ein internationaler Mindestlohn berücksichtigen, dass Solidarität in der globalisierten Welt nur international bestehen kann.

Schließlich muss Politik wieder transparenter werden, um die demokratische Beteiligung zu stärken und Lobbyismus zu verringern. Ein Anfang wäre, dass alle Wahlbeamtinnen und Beamten sowie Mandatsträgerinnen und Mandatsträger ab der Landesebene ihre Einkünfte vollständig offen legen.

Politische Praxis braucht Visionen

Klar ist: Die Zeiten, in denen Menschen mit Visionen zum Arzt geschickt wurden, sind vorbei. Wir sollten mit werteorientierten Visionen wieder sozialdemokratische Politik gestalten. Ohne diese Visionen wirkt unsere sozialdemokratische Politik trotz aller guten, realpolitischen Erfolge konzeptlos und spielt damit dem Neoliberalismus in die Hände, dessen einziger „Wert“ die marktkonforme Demokratie à la Angela Merkel  ist.

Die SPD  erreicht die Herzen der Bürgerinnen und Bürger nur, wenn wir sie davon überzeugen können, dass unsere Politik von Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität  getragen ist. Wir müssen uns auf unsere Wurzeln besinnen und auf diesem Fundament Visionen für das 21. Jahrhundert aufbauen.

In diesem Sinne einigten sich wir Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Inselseminars in unserem Manifest auf werteorientierte und starke soziale Forderungen an die Politik und schlossen es mit der Forderung ab: Visionäre und Visionärinnen aller Länder vereinigt euch!

Autor*in
Tina Winter

ist SPD-Mitglied im Landesverband Hamburg, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Hamburg und stv. Vorsitzende der AsJ Hamburg sowie Mitglied im Bundesvorstand der AsJ.

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