Eppler warnt: Comeback des Marktradikalismus durch Schwarz-Gelb
Erhard Eppler hat die SPD auf ihrem Desdner Parteitag in einer viel beachteten Rede vor einem Comeback des Marktradikalismus durch Schwarz-Gelb gewarnt. Die marktradikale Welle habe manches
weggeschwemmt, was der SPD lieb und teuer war. Er nannte die Privatisierungen in den Kommunen, die manche Stadt heute bedauere. Eppler weiter: Wer hätte in den 70er Jahren geglaubt, dass die SPD
einmal das Solidarprinzip in der Krankenversicherung verteidigen müsse? Wer hätte in der 80ern Jahren gedacht, dass die SPD die progressive Einkommensteuer einmal verteidigen müsse, die in 1890er
Jahren unter Bismarck eingeführt wurde? Weder Adenauer noch Erhard hätten die progressive Einkommenssteuer in Frage gestellt. Merkel und Westewelle aber wollten nun das bisher wirksamste Element
des sozialen Ausgleichs abschaffen.
"Noch nie in den letzten 60 Jahren hat dieses Land die Sozialdemokratie dringender gebraucht als heute", so Eppler. Trotz der Weltwirtschaftskrise: "Die marktradikalen Thesen haben ihre
Widerlegung überlebt. Wir hören immer noch das marktradikale Märchen von der Selbstfinanzierung der Steuersenkung." Nur aus diesem Märchen bestehe die Regierungserklärung von Schwarz-Gelb. Man
höre immer noch, das hohe Lied auf die Klugheit der Märkte. Und das Märchen, wenn jeder für sich selber sorge, sei für alle gesorgt.
"Wer den Marktradikalismus bekämpfen will, braucht eine Rehabilitierung der Politik"
Den Marktradikalen sei es gelungen, vom Versagen der Märkte abzulenken auf die Politik. So sei es im Untersuchungsausschuss des Bundestages nicht um die Gründe und Verantwortlichkeiten der
Banker für die Milliardenpleite der HypoRealEstate-Bank gegangen, sondern darum, ob der sozialdemokratische Finanzminister zur richtigen Zeit genau richtig reagiert habe. "Was für ein Unsinn!"
"Wer den Marktradikalismus bekämpfen will, braucht eine Rehabilitierung der Politik", so Eppler. Das schlechte Ansehen der Politik schade diesem Vorhaben. Und auch das in den Medien
verbreitete Zerrbild, die Politiker seien immer dümmer als der Markt. Wenn Politik wieder rehabilitiert sei, sei es nicht mehr gleichgültig, ob man in eine Partei geht und in welche man gehe.
"Noch nie hat die Menschheit, noch nie hat unser Land Politik so dringend gebraucht, wie heute."
Die FDP habe durch die Weltwirtschaftskrise nichts hinzugelernt. Hätte sie es, wäre sie im übrigen überflüssig. Die CDU sei aufgespalten und deshalb fast bewegungsunfähig zwischen
Marktradikalismus und christlich-sozialen Marktwirtschaft. Deshalb sei ihr Programm auch so undeutlich ausgefallen, weil eine Klärung der Fragen die Partei zerrissen.
"Mehr Gerechtigkeit schafft mehr Freiheit"
"Einer trage des anderen Last." Dieses Wort des Galater-Briefes sei die zentrale Ethik des Christentums. Aber wo bleibe diese Ethik heute in der Politik der Unionsparteien? Nirgendwo heiße
es in der Bibel unter Berufung auf die Ethik des Marktradikalismus: "Einer stelle dem anderen das Bein."
Zwar rede auch die Union von Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität als ihren Grundwerten. Für die CDU/CSU stünden diese Werte jedoch im Widerspruch. Für sie bedrohe "zu viel
Gerechtigkeit" die Freiheit. Die SPD hingegen sage seit Godesberg: "Freiheit und Gerechtigkeit bedingen einander. Und in diesem kleinen Sätzchen steckt unsere ganze sozialdemokratische
Philosophie. Wir glauben, Gerechtigkeit bedeutet die gleiche Freiheit für alle." Mehr Gerechtigkeit schaffe mehr Freiheit. Und weniger Gerechtigkeit schaffe weniger praktizierbare Freiheit. Die
SPD kämpfe deshalb für eine gerechte Gesellschaft, nicht weil sie weniger, sondern weil sie mehr Freiheit für die Menschen wollen.
Leidenschaftlich sprach Eppler gegen die Okkupation des Begriffes "bürgerlich" durch Schwarz-Gelb. Die SPD sei die Partei des "Citoyen", des mündigen und selbstbewussten Staatsbürgers. Es
werde Schindluder mit der deutschen Sprache getrieben, den Begriff des Bürgers auf die Konservativen zu beschränken. Das dürfe die SPD nicht zu lassen.
Spannung zwischen Programm und Wirklichkeit ernst nehmen
Eppler forderte die SPD auf, die Spannung zwischen Programm und Wirklichkeit ernst zu nehmen. Godesberg habe den Abstand zwischen Realität und Programm verringert und brachte so neue
Spannung. Es wurde so ein Stück Orientierung und Ermutigung für die SPD. "Die Fenster wurden auf gemacht, für uns alle." Godesberg sei die Folge der dritten Wahlniederlage der SPD in Folge
gewesen. Tiefe Depression war die Folge, eine Regierungsbeteiligung auf Jahre nicht absehbar.
Eppler beschloss 1959 das Godesberger Programm mit, "mit einem Gefühl der Erleichterung und Befreiung", ähnlich dem Gefühl des SPD-Parteitags Dresden bei der Rede Sigmar Gabriels. Er räumte
ein, als junger Delegierter an der Entwicklung nicht beteiligt gewesen zu sein. Vielleicht war es deshalb eines der erfolgreichsten SPD-Programme des 20. Jahrhunderts, scherzte Eppler. Er
überbrachte dem Parteitag "herzliche Grüße der AG 80 plus, vor allem die von Jochen Vogel".
Integrationsfigur der SPD
Für die SPD ist Eppler eine zentrale Integrationsfigur. Als früherer Exponent des linken Parteiflügels unterstützte die in der SPD umstrittene Agenda 2010 von Bundeskanzler Gerhard
Schröder. Zudem befürwortete er, der in den achtziger Jahren leidenschaftlich die Friedensbewegung unterstützt hatte, ausdrücklich den außenpolitischen Kurs der Regierung Schröder und billigte
die Intervention 1999 im Kosovo ebenso wie den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr.
Eppler war von 1968 bis 1974 Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit unter den Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger (CDU) und Willy Brandt (SPD). Von 1970 bis 1991 war er Mitglied
des SPD-Parteivorstandes, von 1973 bis 1989 Präsidiumsmitglied (ausgenommen 1982-1984) sowie von 1973 bis 1992 Vorsitzender der SPD-Grundwertekommission.
Auch auf Landesebene spielte er in Baden-Württemberg eine wichtige Rolle. Von 1973 bis 1981 war er Landesvorsitzender der SPD in Baden-Württemberg. Bei den Landtagswahlen 1976 und 1980 war
er Spitzenkandidat der SPD für das Amt des Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg.
Eine bedeutende Rolle spielte Erhard Eppler auch in der Evangelischen Kirche Deutschlands. Unter anderem war er von 1981 bis 1983 und von 1989 bis 1991 Kirchentagspräsident.
Die Rede von Erhard Eppler auf dem SPD-Bundesparteitag am 15. November 2009 in Dresden finden Sie als pdf - Datei im Anhang.