Zu Beginn des Ersten Weltkriegs fiel auf Südekum das Schlaglicht historischer Bedeutung, als er dem damaligen Reichskanzler Bethmann Hollweg vorab bestätigte, dass keinerlei Aktionen der
Sozialdemokratie gegen den Kriegseintritt Deutschlands zu erwarten seien. Südekum zählte dann auch zum kleinen Kreis der SPD-Abgeordneten, die anschließend die Bewilligung der Kriegskredite am 4.
August 1914 im Reichstag vorbereiteten und damit die Weichen für den "Burgfrieden" mit der Kriegspolitik des Kaiserreiches stellten. Lenin hielt Südekum dabei offenbar für so prägend, dass er
nach ihm die politische Linie des "Sozialchauvinismus" benannte: "Südekumerei" - als "Sudekumizatti" auch von italienische Sozialisten in Umlauf gebracht und noch von Rudi Dutschke als
Bezeichnung für einen abgestandenen Reformismus verwendet.
Aus einer niedersächsischen Guts- und Hotelbesitzerfamilie stammend, trat Südekum 1890 in die SPD ein und beginnt nach seinem Studium mit einem Volontariat beim "Vorwärts" seine Laufbahn in
der sozialdemokratischen Presse. 1900 wird er Reichstagsabgeordneter für den Wahlkreis Nürnberg, mit dem er in den Jahren bis 1918 politisch jedoch immer wieder aneinandergeraten sollte. Als
Mitglied des mächtigen Haushaltsausschusses profilierte sich Südekum als eine markante Persönlichkeit der Parteirechten in der sozialdemokratischen Fraktion, für die er 1912 als möglicher
Nachfolger von Paul Singer im Gespräch war. Ein wichtiges Parteiamt sollte Südekum jedoch nie erhalten.
Sein Erfolg bei der Durchsetzung der Kriegskredite machte Südekum gleichwohl zu einem gefragten Mann für das Auswärtige Amt, eine Rolle, die er gerne übernahm. So reiste er bereits 1914
nach Schweden, Italien, Rumänien und später in die Ukraine, um die Arbeiterbewegung in diesen Ländern zu einer deutschfreundlichen Einstellung zu bewegen. Diese Missionen riefen schärftste
innerparteiliche Proteste der linken Gruppe um Luxemburg und Liebknecht hervor, denen er umgekehrt in heftigster Ablehnung verbunden war.
Obwohl Südekum 1917 im Reichstag neben Matthias Erzberger eine zentrale Rolle für die Verabschiedung einer Friedensresolution einnahm, reichte seine Machtposition offenbar nicht aus, um bei
der Kabinettsumbildung im Oktober 1918 Berücksichtigung zu finden.
Erst die Revolution im November, die Südekum unter allen Umständen vermeiden wollte, trug ihm den Posten des preußischen Finanzministers zu. In dieser Position war er nicht nur Gegenpart
der Volksmarinedivision in den Weihnachtskämpfen um das Berliner Stadtschloss, sondern auch verantwortlich für ein geplantes Entschädigungsgesetz zum Besitz der Hohenzollern. Anfang März 1920
scheiterte der Gesetzentwurf kläglich und brachte Südekum an den Rand des Rücktritts, der nach dem Kapp-Putsch wenige Wochen später tatsächlich eintrat. Aufgrund seiner Gespräche mit den
Putschisten war er einer Kabinettsumbildung zum Opfer gefallen. Damit endete im Wesentlichen seine politische Karriere.
Südekum blieb nach seinem anschließenden Wechsel ins Wirtschaftsleben als "Genosse Aufsichtsrat" eine Person der öffentlichen Debatte. Hier stand er vor allem durch seine Tätigkeit für die
Zündholz-Monopolgesellschaft des schwedischen "Zündholzkönigs" Ivar Kreuger in der Kritik links- wie rechtsradikaler Blätter, zusätzlich befördert von seinem vermeintlichem Image als
"sozialistischer Dandy" mit "feinsten Allüren", das ihm frühzeitig zugeschrieben wurde. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten endete Südekums weitere wirtschaftliche Karriere wegen
seiner sozialdemokratischen Vergangenheit und seiner jüdischen Ehefrau.
Der Autor zeichnet diese wechselhafte Laufbahn in flüssigem Stil anhand eines reichen Quellenfundus und mit häufigen Querverweisen der politschen Weggefährten und Freunden Südekums. An
einigen Stellen, wie bei den Hintergründen des Auftritts von Südekum für die Gedächtnisrede für August Bebel 1913 oder seinem Engagement für den Abwehrverein gegen Antisemitismus, wünscht man
sich jedoch ein längeres Verweilen.
Bloch vertritt die zentrale These, dass Sozialdemokraten wie Friedrich Ebert, Gustav Noske und Albert Südekum im November 1918 Verantwortung für Deutschland übernommen und sich so für den
staatlichen Fortbestand verbürgt haben. Auch wer dem Anliegen der Biographie, zur Ehrenrettung der "Generation Ebert" beizutragen, kritisch gegenübersteht, wird das Buch mit Gewinn lesen. Denn
dem Autor gelingt es, uns die historische Persönlichkeit Albert Südekums - ein Leben mit durchaus tragischen Zügen - nahezubringen.
Max Bloch, Albert Südekum (1871-1944).
Ein deutscher Sozialdemokrat zwischen Kaiserreich und Diktatur
Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Band 154
ISBN: 978-3-7700-5293-6, 49,80 Euro. Droste Verlag
Ca. 350 Seiten, Leinen mit Schutzumschlag mit zahlreichen Abbildungen
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Dr. Max Bloch, geboren 1977 in Berlin, Studium der Neueren Geschichte und Neueren deutschen Literatur an der Freien Universität Berlin; Promotion mit der vorliegenden Arbeit; zur Zeit
wissenschaftlicher Mitarbeiter am Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg.