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Ein Linker für Oxford

von Gero Fischer · 6. November 2010
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Bei der Begrüßung blickt er einem selbstbewusst in die Augen. "Hallo, ich bin Eray", sagt er in freundlichem Ton. Mit dunkelblauem Pullunder, hellblauem Hemd und Krawatte fällt Eray Demirtop unter seinen Kommilitonen kaum auf.

Gerade hat er ein Jura-Studium in Bremen begonnen. Er sei etwas gestresst, die erste Woche sei voll mit Terminen. Dass er sich trotzdem Zeit für ein Gespräch nimmt, ist wohl typisch für ihn. "Ich mache eigentlich immer viel zu viel", muss er zugeben.

Aufstieg durch Bildung möglich?
Viel zu viel, zumindest für einen 20-Jährigen - so liest sich auch sein bisheriger Lebenslauf. Eray Demirtop hat in den letzten Jahren bei "Jugend forscht", "Jugend musiziert" und "Jugend debattiert" mitgemacht und überall einen der vorderen Plätze belegt. Er spielt Tennis im Verein, Saxophon im Orchester und ist Vize-Vorsitzender der Jusos in Bremen-Nord.

Beim Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten ist er 2009 Zweiter geworden und nebenbei hat er noch ein 1,0-Abitur hingelegt. Er spricht Deutsch, Türkisch und Englisch fließend, daneben noch Chinesisch und Spanisch auf Mittelstufenniveau. Kein Wunder, dass er seit diesem Jahr auch Stipendiat bei der Studienstiftung des Deutschen Volkes ist.

Im Gespräch ist Eray Demirtop locker, seine Antworten sind klar formuliert. Manchmal macht er kurze Pausen, um nachzudenken, dann folgen mehrere druckreife Sätze - die vielen Debattierwettbewerbe waren offenbar ein gutes Training.

Jura will der Sohn türkischer Eltern nur ein Semester studieren. "Ich will gucken, ob mir das Fach vielleicht gefällt." Sein eigentliches Ziel heißt England. Nächstes Jahr will er ein Studium an der Elite-Universität in Oxford beginnen. Dort gibt es einen Studiengang mit der Kombination Philosophie, Politik und Wirtschaft, das Bewerbungsverfahren läuft noch.

Andere Unis in England sind ebenfalls eine Option, dann vielleicht mit Jura. Auch langfristig hat der 20-Jährige ehrgeizige Ziele: Er will zu den Vereinten Nationen oder ins Spitzenmanagement der Wirtschaft. Der Bremer weiß, was er kann, und er weiß, dass ihm viele Türen offen stehen. Aber woher kommt die Motivation für das alles?

Seine Eltern spielen dabei eine untergeordnete Rolle. Von ihnen habe er keinerlei Druck bekommen. "Wir sind eine bescheidene Familie", sagt er. Die Eltern sind in den 1980er Jahren aus der Türkei nach Deutschland gekommen und haben sich erst hier kennen gelernt. Der Vater ist Unternehmer, die Mutter Krankenschwester.

Ziel: Linker Spitzenmanager
Wenn Eray Demirtop betont, dass seine Eltern keine Akademiker sind, schwingt auch etwas Stolz mit, dass er selbst jetzt an einer Universität studiert. Er weiß, dass das nicht selbstverständlich ist. Als Beispiel dafür, dass es in Deutschland immer noch jeder schaffen kann, der sich anstrengt, möchte er nicht herhalten. "Es gibt in Deutschland keine Chancengleichheit." Zwar sei Aufstieg durch Bildung möglich, aber nicht jeder habe den gleichen Zugang zu Bildung.

Er selbst hat seine Chancen optimal genutzt. Der Drang, sich hochzuarbeiten und anerkannt zu werden, treibe ihn an, sagt er. Auch weil er denkt, dass wirkliche Veränderungen nur von oben möglich sind. "Ich möchte einen Gegenpol darstellen, dort, wo ich mal ankomme."

Zum Beispiel beweisen, dass man auch als Linker ein Spitzenmanager sein kann. Ihn regt auf, dass sich das Geld bei Wenigen konzentriert "bis zum Geht-nicht-mehr", dass wir in einem "Kapitalismus ohne Zügel" leben. Die Leute in der Wirtschaft nähmen linke Meinungen nicht ernst. Die Konsequenz ist für ihn klar: "Man kann nur auf der Ebene dieser Leute etwas verändern und etwas anderes durchsetzen."

Dieses Prinzip gilt für ihn auch in der Politik. Es ist ein Grund dafür, dass er 2007 in eine Partei eingetreten ist. Ohne Partei könne man politisch nur schwer etwas bewegen. Wie selbstverständlich fiel seine Wahl dabei auf die SPD. "Ich bin halt links, soziale Gerechtigkeit und Solidarität sind wichtig für mich," sagt er. Daneben habe die Partei einfach eine beeindruckende Geschichte. "Ohne die SPD wäre Deutschland heute nicht dort, wo es jetzt ist", sagt er und ergänzt lächelnd: "Das meine ich im positiven Sinne".

Als Migrant nicht willkommen
Aktuell sieht er die SPD in einem Aufarbeitungsprozess. In den Regierungsjahren habe die Partei zu oft Wasser gepredigt und Wein getrunken. "Man kann nicht von sozialer Gerechtigkeit reden und dann das Geld nur in eine bestimmte Richtung fließen lassen." Eine kritische Aufarbeitung dieser Zeit sei deshalb notwendig, um wieder Glaubwürdigkeit zu gewinnen. Das bekämen dann auch die Leute außerhalb der SPD mit. "Außerdem wird denen jetzt auch klar, wie eine Regierung ohne SPD-Beteiligung aussieht."

Das zeigt sich für ihn vor allem in der Debatte um Integration. Gerade weil er selbst mit seiner Familie so etwas wie ein Musterbeispiel für gelungene Integration ist, störe es ihn, wie undifferenziert derzeit über Integration diskutiert werde. "Auch ich fühle mich angesprochen, weil es in dieser Debatte pauschal um Migranten geht."

Bei allen Problemen müsse man immer den Respekt voreinander bewahren. Diesen aber vermisst er in Deutschland. "Man hat das Gefühl, dass man hier als Migrant nicht willkommen ist." Für ihn persönlich war auch das ein Grund dafür, sich in England zu bewerben. Dort frage niemand, woher man kommt.

"In Deutschland ist der erste Satz oft: 'Ja woher kommen Sie denn eigentlich?'" Seine Zukunft sieht Eray Demirtop in Deutschland. Er sei hier aufgewachsen und verdanke dem Land viel. Für ihn ist aber auch klar: "In einem Deutschland, in dem 80 Prozent der Leute sagen 'Hier gibt es zu viele Ausländer,' möchte ich nicht leben."

Falls er zurückkommt, möchte er sich noch intensiver in der SPD engagieren, mithelfen, dass wieder mehr Menschen die Sozialdemokraten wählen. Er sei glücklich in der SPD, sagt er. "Würde ganz Deutschland in der SPD sein, wäre es mein Traumland - mal abgesehen vom Wetter!"

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