Parteileben

"Ein Korn Hoffnung gesät"

von Sonja Profittlich · 16. November 2009
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Am zweiten Tag stehen daher nun die Antragsberatungen im Vordergrund. Die Delegierten als Repräsentanten der Basis haben die Signale von Sigmar Gabriel nach mehr Partizipation, mehr Diskussion, mehr programmtischer Kontroverse gehört - und sind festen Willens, dieses Versprechen eingelöst zu sehen. Für Karin Lawall vom Parteirat des Saarlandes wurde am gestrigen Tag "ein Korn Hoffnung gesät". Nun müsse der neue Parteivorstand es aber auch Ernst damit meinen, die Kritik, die sich in den letzten Jahren aufgestaut hat, aufzunehmen und noch wichtiger -aufzuarbeiten. Für Dörte Schall aus dem Unterbezirk Bonn ist der Parteitag getragen von der "Aufbruchsstimmung, die viel Energie für die nächsten Jahren geben wird". Sie hofft, das dieser Geist der Erneuerung die Partei schon erfolgreich durch die kommenden Landtagswahlen in NRW tragen wird. "Noch nicht der Weisheit letzter Schluss, aber eine gute Grundlage" Auch der Landesverband Bayern verfolgt die heutigen Antragsdebatten mit Spannung. Zwar sei der Leitantrag in der Rohfassung nicht der "Weisheit letzter Schluss" gewesen, so Florian Freund, Delegierter aus Bayern. Aber die Antragskommission habe daraus eine "gute Basis geschaffen, um die Diskussion in den nächsten Monaten zu beginnen". Kritische Stimmen, auch in Dresden nicht nur hinter vorgehaltener Hand geäußert, fürchten, dass die Aufbruchsstimmung nach dem Parteitag im Alltagstrott verpuffen könnte. Dabei ist allen klar, dass eine neue Führungsspitze allein die SPD nicht aus der Misere holen wird. Sigmar Gabriel hat gestern mehr Diskussionsräume, einen jährlichen Parteitag, andere Strukturen und intensivere Arbeit an der Programmatik versprochen. Für Florian Freund ist der Leitantrag eine gute Möglichkeit, die Parteispitze im Zweifelsfall an ihre Versprechen zu erinnern. Eine große Chance für die Zukunft Rosa Grünstein aus Baden-Württemberg ist der Meinung, dass große Themenkomplexe, wie Integration zur Strategieentwicklung eines eigenen Parteitags bedürfen. Für die ist Gabriels Ansinnen, jährlich einen Parteitag auszurichten, "eine große Chance für die Zukunft der Programmdebatte". Ein Parteitag, ein Thema, das wäre, so findet sie, aber auch für die Beteiligung der Mitglieder wichtig. Vielleicht könnten auf diesem Weg auch Mitglieder besser eingebunden werden, die über spezifische Kompetenzen in einzelnen Politikbereichen verfügen, diese aber nur schwierig in den bisherigen Parteistrukturen nutzen können. "Verwaiste sozialdemokratische Bezirke nicht einfach aufgeben" Für Andrea Wicklein und Christian Maaß vom Landesverband Brandenburg ist der Parteitag bisher gelungen. Die Rede des neuen Parteivorsitzenden hat bei ihnen ebenso einen positiven und für die Zukunft versöhnlich stimmenden Eindruck hinterlassen wie das bisherige Format des Parteitags, das auf eine allzu enge Dramaturgie verzichtet. Gestern habe man ein "Podium geboten für eine wirklich offene Diskussion", so Wicklein. Ihr Landesverbandsgenosse Maaß bemängelt jedoch "Selbstmitleid und Selbstbezogenheit" der gestrigen mehrstündigen Aussprache. Er hofft daher, dass die heutigen Antragsberatungen "etwas mehr in die Zukunft gerichtet sind, als das was gestern gelaufen ist". Sigmar Gabriel ist es gestern gelungen in seiner Rede an die innerparteiliche Solidarität zu appellieren. Dies ist auch für die Brandenburger ein wichtiges Thema, wobei sie darunter nicht nur strömungsübergreifendes Zusammenstehen verstehen, sondern sich auch wieder ein Mehr an Solidarität für die angeschlagenen Landesverbände im Osten erhoffen. Ein Antrag der Ostverbände an den Bundesparteitag wird dieses Mehr an Unterstützung und Rückendeckung einfordern. Für Andrea Wicklein ist wichtig, dass die Kreise, die ihnen in der letzten Landtagswahl in Brandenburg verloren gegangen sind, nun nicht einfach aufgegeben werden. In den "sozialdemokratisch verwaisten" Gebieten, in denen man derzeit über keine Abgeordneten verfüge, müssten nun tragfähige Parteistrukturen neu aufgebaut werden, um für die nächsten Wahlen auch im Osten die Kampagnenfähigkeit flächendeckend möglich zu machen. Dies dürfte auch im Sinne der gestrigen Rede von Gabriel sein, der nicht nur forderte, dass sich die SPD die Deutungshoheit zurück erobern müsse, sondern auch besonders da angreifen solle, wo es schwer, wo es anstrengend sei. Dass die SPD in den östlichen Bundesländern immer noch nicht nachhaltig und selbstverständlich verwurzelt ist, ist bekannt. Zwar seien zwanzig Jahre eine lange Zeit, so Kornelia Keune aus Sachsen-Anhalt und man würde im Osten auch nicht erwarten, in den Vordergrund gestellt zu werden. Aber trotzdem müsse die Partei ihr Augenmerk weiter verstärkt auf die spezifischen Probleme der Ostverbände richten. Dabei geht es aber nicht nur um die SPD, sondern auch um die Menschen, für die wir Politik machen. Antworten auf die besonderen strukturellen Probleme in Ostdeutschland zu finden, auch das sei eine Zukunftsaufgabe für die Sozialdemokratie. Der politische Gegner ist nicht in den eigenen Reihen, sondern in der Regierung Zwar bekommen Generalsekretäre traditionell keine Super-Ergebnisse. Dennoch, inmitten der Neubegründungsstimmung und der gefühlten Einigkeit zwischen den Lagern, Partikularinteressen hinter das Überleben der alten Tante SPD zurückzustellen, das schlechte Ergebnis für Andrea Nahles erscheint vor diesem Hintergrund wie ein Dämpfer. So glaubt auch Dörte Schall aus dem Unterbezirk Bonn, dass Andrea Nahles unter Umständen als Parteilinke und wegen der Unruhe zwischen den Flügeln in der Vergangenheit ein schlechteres Ergebnis bekommen habe. Umso wichtiger gestern das klare Bekenntnis von Gabriel, dass der politische Gegner nicht in den eigenen Reihen, sondern auf der demokratischen Rechten in der Bundesrepublik zu finden ist. "Wenn ich Alimente für ein Kind zahlen soll, muss ich bei der Zeugung dabei sein" Die Delegierten und die Gäste werden, das ist jetzt schon klar, von diesem Parteitag mit etwas leichteren Herzen und sehr viel Motivation nach Hause fahren. Der Parteitag ist Ausdruck der neuen Ernsthaftigkeit. "Streitkultur müssen wir wieder neu lernen", lautet daher auch die Erkenntnis von Marlene Rupprecht aus Bayern. Es scheint so, als wären das schon längst passiert: diszipliniert und harmonisch, verlaufen die Debatten im Plenum. Es haben alle verstanden, dass es im Moment um mehr geht, als um die Meinungsverschiedenheiten zwischen den Flügeln der Sozialdemokratie. Es geht vielmehr um die Zukunft der SPD außerhalb eines 20 Prozent-Turms, es geht um eine neue Ära der Sozialdemokratie, die auch programmatisch abgedeckt werden muss. Die Themen liegen auf der Straße: soziale Gerechtigkeit, die Gleichstellung zwischen den Geschlechtern, nachhaltige Bildung, Integration, Afghanistan, nicht zuletzt Europa. Dresden scheint erst der Anfang der Neubegründung. Nun kommt es auf die Delegierten an, diesen Geist in die Untergliederungen zu tragen und auf die Basis, etwas daraus zu machen.

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Sonja Profittlich

Sonja Profittlich ist ehemalige Stipendiatin der Friedrich-Ebert-Stiftung, hat in Bonn Politikwissenschaften studiert und dort über die rechtspolitischen Reformprojekte der Ära Brandt promoviert.

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