Parteileben

Ein heißer Parteitag

von Werner Loewe · 15. Juni 2010
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Gut tausend Menschen schwitzten am Wochenende in "Österreichs größter Sauna", wie Wiens Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) witzelte. Die österreichischen Sozialdemokraten hatten rund 700 Delegierte und mehrere hundert Gäste zu ihrem Parteitag in die gläserne Event- Pyramide in der Gemeinde Vösendorf nahe Wien eingeladen. Bei strahlendem Sonnenschein und dreißig Grad Außentemperatur stieg unter den schrägen Glasflächen die Raumtemperatur rasch auf mehr als vierzig Grad.

An der Seite der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer

Außer der Hitze gab es für Michael Häupl, den Spitzenkandidaten der Wiener Sozialdemokraten, die am 10. Oktober eine Wahl zu bestehen haben, wenig zu kritisieren. Unter dem Parteitagsmotto "Zeit für Gerechtigkeit" zeigte sich die Partei geschlossen wie lange nicht mehr. Der Parteivorsitzende und Bundeskanzler Werner Faymann, Kanzler einer großen Koalition, machte in seiner rund 45-minütigen Rede deutlich, wo die österreichische Sozialdemokratie verlässlich steht: auf der Seite der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Der Mensch müsse wieder "in den Mittelpunkt der Gesellschaft" rücken. "Die neoliberalen Apologeten des Marktes haben uns lange genug in die Irre geführt. Wir müssen aufstehen und wieder kämpferisch werden." Dabei bedürfe es insbesondere eines internationalen Engagements für mehr Kontrolle und Regulierung der Finanzmärkte.

Faymann erinnerte daran, dass zwei Drittel der europäischen Regierungschefs Konservative oder Liberale sind. Deshalb wolle er, zusammen mit den Freunden der deutschen Sozialdemokratie in Europa ein Volksbegehren zur Bändigung der Finanzmärkte auf den Weg bringen. Man müsse sich mit aller Kraft Konservativen, Liberalen und den Banken- und Spekulanten-Lobbys entgegenstellen. Daher sei die im Lissabon-Vertrag ausdrücklich vorgesehene Möglichkeit einer EU-weiten Bürgerinitiative wichtig, um Druck für einen Paradigmenwechsel aufzubauen. Denn im europäischen Parlament und unter den Regierungschefs seien die Sozialdemokraten zwar in der Minderheit, "aber die Herzen und Hirne der Menschen sind bei uns."

Höchste Zeit für die Bankenabgabe

Da bei der Regulierung der Finanzmärkte und bei einer stärkeren Beteiligung der Verursacher der Krise an den Kosten einige offensichtlich auf Zeit spielen wollen, machte Faymann ganz klar: "Wenn jemand wie ein Josef Ackerman (Deutsche Bank-Chef, Red.) meint, jetzt sei der falsche Zeitpunkt für Bankenabgaben, und diese sollten zu einem späteren Zeitpunkt kommen, kann man nur, in Anbetracht der erneuten Gewinne der Banken, sagen: Es ist die richtige Zeit, es ist höchste Zeit, die von uns geforderten Maßnahmen umzusetzen."

Scharfe Attacken von Sigmar Gabriel

Nach der Rede von Bundeskanzler Werner Faymann war es für den Gastredner aus Deutschland, den SPD Vorsitzenden Sigmar Gabriel, nicht allzu schwer, den Ball aufzunehmen. Und rasch war unübersehbar, dass ihm - wie auch den Zuhörern - die Abteilung Attacke besonderes Vergnügen bereitete. Schon nach seinem Einstieg glucksten die Delegierten vor Erheiterung: Er komme jetzt besonders gern nach Österreich, so Gabriel, das sei endlich mal wieder ein Land, wo es einen ordentlichen Kanzler gebe und wo regiert wird.

Der SPD-Vorsitzende erinnerte an die verbindenden sozialdemokratischen Wurzeln: "Es ist die Tradition der österreichischen und der deutschen Sozialdemokratie, gemeinsam für die Menschen und ihre Rechte zu kämpfen. Wir stehen heute in Europa vor Problemen, die wir nur gemeinsam lösen können. Ich danke daher Bundeskanzler Werner Faymann, dass er sich so vehement für die sozialdemokratischen Forderungen in Europa einsetzt." Gabriel sprach den Konservativen und Liberalen unter dem Jubel der Zuhörer das Recht ab, sich als "bürgerliche" Parteien zu etikettieren: "Wer hat denn die bürgerliche Demokratie und Freiheit verteidigt, als die Vorläuferorganisationen dieser Parteien übergelaufen sind? Das waren Sozialdemokraten! Die anderen sind nicht die Bürgerlichen, sondern die demokratische Rechte." Scharf wandte sich Gabriel gegen das Gerede über Sozialhilfeempfänger als Sozialschmarotzer und Sozialbetrüger. "Die Spekulanten und Zocker an den Börsen", die die Krise verursacht hätten und die wenn es geht, ihr Geld am Finanzamt vorbei ins Ausland schafften, das seien "die wahren Sozialschmarotzer und Sozialbetrüger".

Sozialdemokratie muss die Regulierung der Finanzmärkte vorantreiben

Wir brauchen strenge Regeln für die Finanzmärkte, "weil wir nicht unter dem Druck der Öffnungszeiten der Börse von Tokio Milliardenentscheidungen treffen wollen", die darüber bestimmen, wie wir unser Zusammenleben in Europa organisieren, so Gabriel. Es liege aber an den Sozialdemokraten in Europa, sich dafür einzusetzen, denn von den Konservativen und Liberalen sei dazu nichts zu erwarten. "Das werden wir am Ende alleine machen müssen. Und es sind Sozialdemokraten wie Werner Faymann, die das vorantreiben." Mit seinem kämpferischen Auftritt sorgte Sigmar Gabriel für große Begeisterung bei den Delegierten. So überlegten denn auch Genossen aus der Steiermark, die bei der Wahl im Herbst ihre Führung in dem Bundesland verteidigen wollen, ob man nicht vielleicht Sigmar Gabriel als Gastredner für den großen Wahlkampfauftakt gewinnen könnte.

Martin Schulz: Es ist Zeit für Gerechtigkeit

Gegen Ende des Parteitags warnte Martin Schulz, Vorsitzender der Sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament, in einer stark beachteten Rede vor den nationalen Tendenzen in Europa. "Wenn die derzeitige Gerechtigkeitslücke nicht geschlossen wird, dann ist das europäische Einigungswerk in Gefahr", so der SPE-Fraktionsvorsitzende. "Wenn wir diese Lücke nicht schließen, verlieren wir nicht nur die Köpfe der Menschen, sondern auch ihre Herzen." Die Situation in Europa zeige unabweisbar: "Es ist Zeit für Gerechtigkeit. Wir müssen die Regeln ändern. Es ist nicht akzeptabel, was in Europa geschieht." Schulz sprach sich eindeutig für die Regulierung der Finanzmärkte und für eine finanzielle Beteiligung der Verantwortlichen der Krise aus: "Bei der Kontrolle drücken die Banken auf die Bremse, aber wenn es einen Rettungsschirm für die selbstverschuldeten Verluste gehen soll, kann es ihnen nicht schnell genug gehen. Das kann so aber nicht sein. Die Verursacher sollen zahlen."

Links - und stolz darauf

Vor dem Parteitag hatten die politischen Auguren in Österreich geraunt, das Problem des SPÖ bei den bevorstehenden Wahlen in Wien und in der Steiermark sei weniger die politische Konkurrenz, als vielmehr die Uneinheitlichkeit und Unklarheit der eigenen Partei und die mangelnde Mobilisierung und Kampfbereitschaft ihrer Mitglieder. Nach den Reden, den Diskussionen und dem Wahlergebnis für den Parteivorsitzenden - 94 Prozent für Werner Faymann - mag man das nicht mehr so recht glauben. Noch vor einem Monat hatte man Faymann weniger als 80 Prozent vorhergesagt. Nach dem Parteitag fühlt sich die SPÖ wieder "links" und ist stolz darauf. Der SPÖ-Fraktionschef Josef Cap scherzte selbstbewusst, in manchen Medien könnte man den Eindruck gewinnen, als sei "links" eine Krankheit. "Nein, das ist anständig."

Autor*in
Werner Loewe

ist Mitarbeiter der vorwärts-Redaktion, Geschäftsführer a. D. des vorwärts-Verlags und ehemaliger Landesgeschäftsführer der SPD Hamburg.

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