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Ehrung der SPD-Lindau: Raed Saleh hat ab sofort den Hut auf

Es ist eine Ehrung für Sozialdemokraten, die gegen den Strom schwimmen: Am heutigen Freitag wird Raed Saleh der Sozialistenhut des SPD-Kreisverbands Lindau verliehen. Im Interview mit vorwärts.de sagt der Vorsitzende der Berliner Abgeordnetenhausfraktion, warum er für eine neue Leitkultur plädiert – und an wen er den Sozialistenhut gerne weiterreichen würde.
von Kai Doering · 5. November 2015
Raed Saleh
Raed Saleh

Sind Sie Hutträger?

Um ehrlich zu sein, hatte ich mit Hüten bisher nichts am Hut.

Das wird sich am Freitag ändern. Dann verleiht Ihnen der SPD-Kreisverband Lindau im Allgäu den diesjährigen „Sozialistenhut“. Wie kommt ein Preuße zu dieser Ehrung?

Diese Frage könnten die Genossen aus Lindau sicher besser beantworten. Ich habe mich jedenfalls sehr gefreut als sie mir mitgeteilt haben, dass sie mich in diesem Jahr als Träger des Sozialistenhutes ausgewählt haben. Der Sozialistenhut ist eine sozialdemokratische Tradition, die es seit beinahe 30 Jahren gibt. Als Sozialdemokrat macht es mich stolz, nun Teil dieser Tradition zu werden

Die Liste der bisherigen Hutträger ist lang. Mit wem identifizieren Sie sich am meisten?

Das sind zwei – leider viel zu früh verstorbene – Genossen: Zum einen Ottmar Schreiner, zum anderen mein großes Vorbild Regine Hildebrandt.

Der Preis geht an „Frauen und Männer, die sich dadurch ausgezeichnet haben, dass sie ihrer Gesellschaft und ihrer Partei vorausgedacht haben, gegen den Strom geschwommen sind, ohne dabei stromlinienförmig zu werden und den Mut hatten, sich nicht einschüchtern zu lassen“. Fühlen Sie sich da angesprochen?

Ich bin 1994 in die SPD eingetreten. Damals hatte es die Partei sehr schwer. Bei der Bundestagswahl hatte sie das bis dahin schlechteste Ergebnis aller Zeiten eingefahren. Insofern bin ich schon beim Parteieintritt gegen den Strom geschwommen. Ich halte nichts davon, mit dem Wölfen zu heulen, sondern will gesellschaftliche Entwicklungen immer hinterfragen. Das ist Teil meiner Art, Politik zu machen. Manchmal muss man auch daran arbeiten, aus einer Minderheitenposition eine Mehrheitsposition zu machen. Nur so kann man positive Veränderungen für die Gesellschaft erreichen. Insofern finde ich mich in der Beschreibung für den Sozialistenhut-Träger wieder.

Gegen den Mainstream ist sicher Ihre Forderung nach einer „neuen deutschen Leitkultur“. Was meinen Sie damit konkret?

Zurzeit kommen sehr viele Menschen aus anderen Ländern zu uns – was gut ist! Aber natürlich verändern sie die Gesellschaft. Vor dieser Veränderung haben viele Menschen Angst. Deshalb denke ich, dass wir alle gemeinsam eine Antwort darauf finden müssen, wie wir in zehn, fünfzehn oder zwanzig Jahren in Deutschland leben wollen. Diese Klammer, die die Gesellschaft zusammenhalten soll, nenne ich neue deutsche Leitkultur. Unser Land muss eine Heimat sein für die Menschen, die bereits hier leben, und eine Heimat werden für die, die neu zu uns kommen. Dafür brauchen wir Spielregeln: Neben dem Grundgesetz sind das gemeinsame Werte und eine gemeinsame Erzählung von unserer Gesellschaft. Das kann eine neue deutsche Leitkultur leisten. Sie bietet Schutz für alle Demokratinnen und Demokraten.

Was Sie beschreiben, klingt etwas schwammig. Wie wollen Sie diese neue deutsche Leitkultur vermitteln?

Alle, die ein Interesse haben, dass die Gesellschaft zusammenhält, müssen Verabredungen treffen, nach welchen Regeln wir gemeinsam leben wollen. So können die radikalen Ränder – die Rechtsextremisten auf der einen und die Salafisten auf der anderen Seite – isoliert werden. Dazu braucht es demokratisches Selbstbewusstsein. Wahre Patrioten – das ist ja noch so ein Begriff, der in der Linken nicht gerade positiv besetzt ist – sind diejenigen, die eine friedliche und pluralistische Gesellschaft wollen, und nicht die Spalter und Hetzer von Pegida und Co.

Wie bewerten Sie das Auftreten der SPD in der gegenwärtigen Flüchtlingssituation?

Ich bin froh, dass sich die SPD einige darin ist, dass den Menschen, die in Not zu uns kommen, geholfen werden muss. Das ist auch ein starkes Signal nach außen und macht die Partei glaubwürdig. Für inkonsequent halte ich dagegen die Bekämpfung der Fluchtursachen. Der Einsatz von Frank-Walter Steinmeier in Syrien ist aller Ehren wert. Aber wenn Deutschland nach wie vor einer der größten Waffenexporteure der Welt ist, wird all das Bemühen zu wenig führen. Da wünsche ich mir mehr Glaubwürdigkeit von meiner Partei.

Noch einmal zurück zum Sozialistenhut: Es ist eine Tradition, dass der Vorjahreshutträger die Laudatio auf seinen Nachfolger hält. Ohne der SPD in Lindau vorgreifen zu wollen: An wen würden Sie den Sozialistenhut gerne weiterreichen?

Erstmal freue ich mich auf die Laudatio, die Hannelore Kraft als Trägerin des Sozialistenhutes 2014 halten wird. Wer ihn im kommenden Jahr erhält, müssen natürlich die Genossen in Lindau entscheiden. Aber aus meiner Sicht würde er Sigmar Gabriel sehr gut stehen. Auf ihn würde ich gerne die Laudatio halten. Dann müsste er mir auch mal eine halbe Stunde zuhören, ohne mich unterbrechen zu können.

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Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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