Parteileben

Die SPD muss sagen, was ist

Die Partei sollte sich klarer positionieren, fordern Hans-Jochen Vogel und Erhard Eppler. Und dabei drei Kernpunkte in den Fokus stellen.
von Hans-Jochen Vogel · 28. August 2018
Eine Frau, die im Müll nach Pfandflaschen sucht.
Eine Frau, die im Müll nach Pfandflaschen sucht.

In den Mittelpunkt der inhaltlichen Erneuerungsdebatte sollten unseres Erachtens nach drei Themen gerückt werden. Nämlich die drohende Zerstörung der Natur, die Verringerung der sich ständig erweiternden sozialen Kluft und die Zähmung und Kontrolle des seine Macht kontinuierlich steigernden neoliberalen Kapitalismus.

Natürlich müssen wir auch auf andere Herausforderungen konkret antworten. So auf die Flüchtlingszuwanderung, auf die sich abzeichnenden Auswirkungen der digitalen Entwicklung, auf die Krise der Europäischen Union und auf das Anwachsen rechtspopulistischer Protestparteien, also bei uns der AfD. Unsere inhaltliche Erneuerung darf aber nicht in der Form einer Aufzählung geschehen. Sondern es muss Kernpunkte geben, die unser Profil deutlich erkennen lassen. Das sind die drei eingangs genannten Themen.

Ressourcen früh aufgebraucht

Der erste Kernpunkt ist der Übergang vom geologischen Erdzeitalter des Holozäns in das des Anthropozäns. Trotz der unbestrittenen Erfolge im Umweltschutz sind die Auswirkungen des menschlichen Handelns auf die Umwelt eskaliert. Den Naturgewalten gleich ist der Mensch zur stärksten Kraft auf unserem Planeten aufgestiegen und gefährdet die ökologische Tragfähigkeit der Erde. Planetarische Grenzen, die für unser Leben essenziell sind, werden bereits überschritten. Der „Weltschöpfungstag“ – also der Tag, an dem die natürlichen Ressourcen für das ganze Jahr aufgebraucht sind – liegt jedes Jahr früher. Der vom Menschen verursachte Klimawandel macht sogar die ökologische Selbstvernichtung möglich.

Das Anthropozän bedeutet nicht, dass sich damit andere Fragen, insbesondere die Kritik am Kapitalismus, erledigt haben. Im Gegenteil: Sie bekommen sogar eine weitergehende Aktualität. Die zentrale Aufgabe der Sozialdemokratie ist es, soziale und ökologische Gerechtigkeit miteinander zu verbinden. Notwendig ist ein neues Fortschrittsverständnis, das nicht auf einer technisch-ökonomischen Linearität aufbaut, sondern auf der Leitidee der Nachhaltigkeit.

Einkommen gehen auseinander

Dass die soziale Kluft auf nationaler Ebene immer größer wird, wird mit zahlreichen Fakten belegt: so die immer weitere Spreizung der Einkommen. Sie ist nach oben geradezu explodiert und hat dazu geführt, dass Vorstandsmitglieder von Dax-Unternehmen heute zweihundertmal so viel verdienen wie normale Arbeitnehmer. Früher erhielten sie maximal das Zwanzigfache. Und die Vermögensentwicklung – mit der Konzen­tration des Zuwachses auf ein Prozent der Bevölkerung am oberen Ende der Skala sowie der wachsenden Vermögenslosigkeit von 50 Prozent in der unteren Hälfte.

Diese zunehmende Ungleichheit mindert auch den Zusammenhalt unserer Gesellschaft und bedroht letztlich sogar die Demokratie, weil sich ein größer werdendes Prekariat in ein gesellschaftliches Ghetto zurückzieht. Schon diejenigen, die fürchten, in dieses Prekariat abzusinken, können mehr und mehr für radikale Aktivitäten missbraucht werden und werden es jetzt schon.

Diese Kluft erweitert sich auch auf der globalen Ebene. Sie ist eine der Ursachen der Flüchtlingswanderung. Zudem verursacht sie auch den Zerfall staatlicher Strukturen und erleichtert dadurch das Entstehen und die Aktivitäten terroristischer Kräfte, die wiederum unsere eigene Sicherheit gefährden.

Marktradikalismus dominiert

Dass sich große und vor allem weltweit agierende Unternehmen zunehmend der staatlichen Kontrolle entziehen und ihrem Nutzen dienende Entscheidungen auch gegen Staaten durchsetzen, lässt sich ebenfalls belegen. Hierher gehört die Tatsache, dass das Volumen des Finanzkapitals, das ohne Bezug zur realen Wirtschaft auf dem Finanzmarkt bewegt wird, das Volumen des Wirtschaftskapitals inzwischen um das Mehrfache übertrifft. Weiter zu erwähnen sind: die Finanzkrise, deren Folgen noch keineswegs endgültig überwunden sind, die enormen Steuermanipulationen, an denen auch deutsche Banken beteiligt sind, und die jüngsten Abgasskandale unserer Automobilproduktion. Für die Weltmacht einzelner Unternehmen mag als Beispiel Google genügen.

In diesem Zusammenhang muss auch der marktradikalen Ideologie, die nach wie vor im Sinne einer „marktkonformen Demokratie“ vertreten wird, das sozialdemokratische Grundverständnis eines „demokratiekonformen Marktes“ entgegengesetzt werden. Dazu gehört auch, dass dem Markt für den Umgang mit Grund und Boden engere Grenzen gezogen und dieser mehr am Gemeinwohl orientiert wird. Beide Forderungen ergeben sich zudem aus dem sozialdemokratischen Grundwert der Gerechtigkeit und dem ebenso sozialdemokratischen Prinzip, dass das Kapital dem Allgemeinwohl zu dienen und nicht das Gemeinwesen zu beherrschen hat.

Autor*in
Hans-Jochen Vogel
Hans-Jochen Vogel

1926 bis 2020, war von 1987 bis 1991 Parteivorsitzender der SPD, von 1972 bis 1974 unter Bundeskanzler Willy Brandt Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau und 1974 bis 1981 unter Bundeskanzler Helmut Schmidt Justizminister.

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