Parteileben

Die Seelensammlerin

von ohne Autor · 4. Juni 2011
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Zuerst dachte Bilkay Öney, der Anruf sei ein Scherz. Sie war gerade von einem Vortrag aus der Türkei zurück nach Berlin gekommen als ihr Telefon klingelte - und der Mann am anderen Ende der Leitung behauptete, Nils Schmid zu sein. Der SPD-Landesvorsitzende von Baden-Württemberg wolle sie in den nächsten Tagen in Stuttgart treffen. "Wenn Du Nils Schmid bist, müsstest Du doch Schwäbisch sprechen", antwortete Öney. Ihr Gegenüber wechselte in Mundart. Doch Öney war noch immer nicht überzeugt. "Du kannst doch auch Türkisch", sagte sie. "Evet, Türkce konusuyorum", bejaht Schmid. Zwei Tage später fuhr Bilkay Öney nach Stuttgart.

Die 40-Jährige lacht als sie die Geschichte erzählt. Es ist ein freundliches, offenes Lachen. Bilkay Öney sitzt in einem Café am Brandenburger Tor. Sechs Tage zuvor hat der designierte Ministerpräsident Winfried Kretschmann sie als seine Kandidatin für das neue Integrationsministerium von Baden-Württemberg der Öffentlichkeit vorgestellt.

Tipps von "Dad"

Öney ist im Stress. Alle paar Minuten klingelt ihr iPhone. Es ist noch so viel zu regeln, ehe es in Stuttgart losgeht. Gerade kommt sie von Erhard Körting. Der Berliner Innensenator ist Öneys großes Vorbild und ihr politischer Ziehvater. Sie nennt ihn "Dad". "Dad war der Erste, dem ich von Nils Schmids Anruf erzählt habe", erzählt sie. Körting war sofort klar: "Die wollen Dich als Ministerin haben." Bilkay Öney war da nicht so sicher: "Ich dachte, die Kollegen wollten mich fragen, wie man so ein Integrationsressort gestalten kann." Darum wird sich die Neu-Ministerin nun selbst kümmern müssen.

Auf den Rat von "Dad" wird sie sich dabei sicher verlassen können. Mit Erhard Körting teilt Bilkay Öney nämlich auch eine tiefe Überzeugung, die Grundlage ihrer Integrationspolitik ist: "Wir dürfen keine Seele verloren geben und müssen mit jedem reden." Es ist diese Einstellung, die der Integrationspolitikerin partei- und migrantenübergreifend Respekt eingebracht hat.

Länger Bundesbürgerin als die Kanzlerin

Und sie weiß, wovon sie redet. Mit drei Jahren kam Bilkay Öney aus dem türkischen Malatya nach Berlin - ohne ein Wort Deutsch zu sprechen. Doch sie lernte schnell "im Kindergarten und von einer Nachbarin, die aus Niedersachsen kam". 1987 ließ sich Öney einbürgern, noch vor ihren Eltern. "Ich bin länger Bundesbürgerin als die Kanzlerin", sagt sie und lacht wieder ihr einnehmendes Lachen. "Türkenministerin" möchte Bilkay Öney aber trotz ihrer Herkunft nicht sein. Integration sieht sie als Aufgabe für die gesamte Gesellschaft und als "eine Frage von Wollen, Können und Dürfen" der Migranten. Die Politik müsse hierfür den Rahmen setzen.

Drei Tage nach dem Treffen am Brandenburger Tor steht Bilkay Öney im Stuttgarter Landtag und hebt die rechte Hand. Sie ist eine der letzten Ministerinnen, die um kurz nach zwei von Landtagspräsident Willi Stächele vereidigt wird - und die erste in der Geschichte der Bundesrepublik, die in der Türkei geboren wurde. Auf der Besuchertribüne sitzt SPD-Urgestein Erhard Eppler neben Grünen-Chefin Claudia Roth. Bilkay Öney kennt beide. 2009 wechselte sie von den Grünen zur SPD - "aus Ärger über die Art und Weise, wie sich Grüne, CDU und FDP eine Mehrheit beschaffen wollten" wie sie sagt. Kurz zuvor war eine SPD-Abgeordnete zu den Grünen gegangen, die rot-rote Mehrheit im Berliner Abgeordnetenhaus schmolz auf eine Stimme.

Sie kann "alles außer Schwäbisch"

Ihr Mandat behielt Bilkay Öney damals, was für zusätzlichen Ärger sorgte. Der ist aber mittlerweile vergessen. "Viele Grüne haben mir zu meiner Nominierung als Ministerin gratuliert", erzählt Öney und betont: "Ich habe damals die Partei gewechselt, aber nicht meine Freunde und auch nicht meine politische Gesinnung." Die Schnittmenge von SPD und Grünen sei gerade beim Thema Integration "enorm groß".

Für ihre Aufgabe in der ersten grün-roten Landesregierung werden ihre Erfahrungen sicher wertvoll sein. Erklären, wie andere ticken, kann Bilkay Öney nämlich gut. Bevor sie in die Politik ging, reiste sie als Redakteurin für den türkischen Fernsehsender TRT durch die Bundesrepublik und produzierte den "Bericht aus Deutschland". Auch Baden-Württemberg lernte sie dabei kennen und merkte in Abwandlung des Werbespruchs des "Ländle" schnell: "Ich kann alles außer Schwäbisch." Immerhin: "Ich bin schon seit meiner Kindheit Fan des Fußballvereins VfB Stuttgart." Eine gute Voraussetzung, sich schnell im Südwesten zu integrieren.

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