Parteileben

"Die Parteien müssen reagieren"

von Carl-Friedrich Höck · 3. November 2011
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vorwärts.de: Herr Vogt, viele junge Menschen engagieren sich für politische Themen, wie die Anti-Atomproteste oder die Occupy-Bewegung zeigen. Trotzdem hat die SPD einen Altersdurchschnitt von 58 Jahren. Ist klassische Parteiarbeit für Jugendliche nicht mehr attraktiv?

Sascha Vogt: Seit vielen Jahren verliert die Parteimitgliedschaft bei Jugendlichen an Attraktivität. Das hat gesellschaftliche Ursachen, aber die Parteien müssen auch reagieren. Etwa indem sie neue Formen der Mitarbeit anbieten. So beteiligen wir Jusos uns aktiv an vielen Protestbewegungen. Außerdem bieten wir den Menschen an, sich in ganz konkrete Projekte einzubringen. Damit können wir auch die Jüngeren ansprechen.

Aber man kann auch nicht allgemein von "den Jugendlichen" sprechen. Es gibt schließlich immer noch viele junge Menschen, die sich in Parteien und anderen Organisationen engagieren.

Eine Partei braucht auch Leute, die politische Veränderungen mit ausdauernder Kleinarbeit voranbringen. Sind Einzelprojekte wirklich der richtige Weg, junge Menschen für die SPD zu gewinnen?

Viele Menschen werden erst dadurch politisch aktiv, dass ein bestimmtes gesellschaftliches Problem sie nervt. So war es zum Beispiel als die schwarz-gelbe Regierung die Laufzeiten für die Atomkraftwerke verlängert hat. Diese Menschen wollen sich dann für ein konkretes Thema engagieren und nur zeitlich begrenzt mitarbeiten. Deshalb haben wir Jusos schon vor Jahren erkannt: Wir müssen dieses projektorientierte Arbeiten ermöglichen. Wir geben ein Ziel aus, starten eine Kampagne für einige Wochen oder Monate, und wer will kann mitmachen. Und wer danach erstmal Pause machen will, kann das auch tun.

Sehen Sie diese Leute denn nach dem Ende einer Kampagne überhaupt noch mal wieder?

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass viele von ihnen schnell merken: Es gibt ja noch andere interessante Themen. Deshalb engagieren sie sich dann auch dauerhaft bei uns Jusos.

In diesen Tagen wird viel über die Öffnung der SPD diskutiert. Die Jusos bieten schon seit Jahren reine Juso-Mitgliedschaften an. Man muss also kein SPD-Mitglied sein, um bei euch mitmachen zu dürfen. Welche Erfahrungen haben die Jusos damit gemacht?

Sehr gute. Manche unserer Mitglieder stehen der SPD erstmal sehr skeptisch gegenüber, weil sie mit der Partei nicht viel verbinden können. Einige nehmen der SPD auch politische Entscheidungen aus der Vergangenheit übel, finden aber das Profil der Jusos gut und werden erstmal nur Juso-Mitglied. Auch hier zeigt sich, wie gut es ist, dass die Jusos eine eigenständige und auch mal von der SPD abweichende Meinung vertreten. Innerhalb der ersten zwei, drei Jahre tritt dann der überwiegende Teil auch in die SPD ein. Ich freue mich deshalb, dass die reinen Juso-Mitgliedschaften mit der Parteireform jetzt aufgewertet werden und dass auch andere Arbeitsgemeinschaften der SPD diese Möglichkeit bekommen sollen.

Lässt sich das Modell denn so einfach auf die ganze Partei übertragen?

Natürlich. Ich glaube, dass die Öffnung der Partei über Themen und über Zielgruppenarbeit funktioniert. Ich kann mir gut vorstellen, dass sich viele Menschen erstmal für ein Thema engagieren wollen, bevor sie die Entscheidung treffen, den ganzen Laden zu unterstützen.

Da wir gerade bei der Parteireform sind: Was müsste sich noch verbessern, damit die SPD für junge Menschen attraktiver wird?

Das hat zunächst mal viel mehr mit einem inhaltlichen Problem zu tun. Die SPD hat die Interessen der jungen Menschen viel zu selten auf dem Schirm. Ein Beispiel: Die DGB Jugend und ich sind uns einig, dass die Übernahme nach der Ausbildung auch staatlich geregelt werden muss, etwa durch eine zeitlich begrenzte verpflichtende Übernahme. Es kann ja nicht sein, dass immer mehr junge Menschen nach der Ausbildung auf der Straße sitzen. Wenn ich das aber in die Gremien der SPD einbringe, kommt der Satz heraus "Wir wollen die Tarifpartner bei dieser Frage unterstützen". Im Klartext heißt das: Wir haben da keine Antwort. Es ist klar, dass sowas keine Begeisterung bei Auszubildenden hervorruft.

Natürlich kann man auch organisatorisch was ändern: So muss etwa das starre Wohnortprinzip gelockert werden. Gerade junge Menschen ziehen oft um. Wenn sie sich dann jedes Mal in einem neuenOrtsverein einarbeiten müssen, ist das belastend. Daher ist es absurd, dass ich meinen Ortsverein wechseln muss, wenn ich innerhalb einer größeren Stadt umziehe. Bei den Jusos ist das flexibler geregelt. Da fragt keiner: Hast du dich schon umgemeldet?

Die Jusos kritisieren, dass manche Neulinge in ihrem Ortsverein erst jahrelang die "Ochsentour" absolvieren müssen, bis sie eine verantwortungsvolle Aufgabe übernehmen dürfen. In anderen Gegenden mit weniger Mitgliedern werden die Neuen dagegen mit Aufgaben überschüttet. Beides wirkt abschreckend.

Es ist wichtig, dass neue Mitglieder von Anfang an ernst genommen werden und mitarbeiten dürfen, auch wenn sie erst spät zur SPD kommen. Gleichzeitig darf man niemanden überfordern, sondern muss die Neuen langsam an ihre Aufgaben heranführen. Das sind aber keine Dinge, die man mit der Parteisatzung ändern kann. Wie man neue Mitglieder in die Partei integriert, ist eine Frage der Kultur.

Die SPD reformiert sich. Reformieren sich die Jusos auch?

Wir passen unsere Arbeitsweise regelmäßig an, auf allen Ebenen. Auf der Bundesebene gibt es zum Beispiel immer mehr Mitglieder, die direkt mitdiskutieren wollen, statt nur Delegierte für Bundeskongresse zu wählen. Deswegen veranstalten wir seit einigen Jahren regelmäßig einen großen Basiskongress in Berlin. Dort kommen dann über 1000 junge Menschen zusammen, übrigens auch viele Nicht-Jusos. Die Ergebnisse fließen in unsere praktische Arbeit ein. Wir werden aber im kommenden Jahr auch unsere Strukturen und Arbeitsweisen auf den Prüfstand stellen, denn das muss man kontinuierlich tun. Wir möchten da einen Prozess organisieren, an dem sich möglichst viele beteiligen können.

Die Jusos haben vor einem Jahr das Aktionsbündnis "Änder das" initiiert. Wie kam es dazu?

Wir sind mit einer Bundesregierung konfrontiert, die nichts für junge Menschen tut. Deshalb haben wir andere Jugendverbände gefragt, ob wir eine gemeinsame Plattform gründen wollen, die auf Missstände hinweist. Die Gewerkschaftsjugend, die Grüne Jugend, die Naturfreundejugend, die Falken und einige andere haben sich der Idee angeschlossen. Wir haben viele gemeinsame Anliegen, wie den Protest gegen Sozialabbau und Klimawandel. Deshalb wollten wir unsere Aktivitäten zusammenführen.

Profitieren die Jusos auch als Verband von diesem Bündnis?

Uns geht es auch darum, gemeinsam mit unseren Partnerorganisationen gemeinsame Ziele zu verfolgen, etwas zu verändern und an einem Strang zu ziehen. Wir Jusos setzen in vielen Bereichen auf Bündnisse: Gegen die Bahnprivatisierung, Vorratsdatenspeicherung oder für die Finanztransaktionssteuer. Diese Bündnisse beruhen auf Vertrauen und Verlässlichkeit. Hier hat die SPD uns mit ihrer Politik das Leben oft schwer gemacht.

Interview: Carl-Friedrich Höck

Juso-Bundeskongress 2011 Vom 25. bis 27. November findet in Lübeck der Juso-Bundeskongress 2011 statt. Dort wählen die Jusos den Bundesvorsitzenden, den Bundesvorstand und die Geschäftsführung. Interessierte können sich als Gäste anmelden. Weitere Infos gibt es auf der Internetseite zum Bundeskongress.

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Carl-Friedrich Höck

arbeitet als Redakteur für die DEMO – die sozialdemokratische Fachzeitschrift für Kommunalpolitik.

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