Am gestrigen Abend fand im sechsten Stock des Willy-Brandt-Hauses (WBH) ein Versuch statt. Im Präsidiumssaal der Partei kamen 30 junge Leute zusammen, um über eine digitale Gründerkultur in Deutschland zu sprechen. Auf dem Bundesparteitag Anfang Dezember soll über einen Antrag zum Thema abgestimmt werden, der zurzeit online entwickelt wird. "Wir wollen zeigen, dass man online konstruktiv zusammen arbeiten kann", erklärt Teresa Bücker aus dem WBH die Intention.
Während die Sonne über Berlin unterging erklärte der Bundestagsabgeordnete Lars Klingbeil den Ablauf des Verfahrens: Bis zum 12. September läuft eine offene Phase, in der sechs Leitfragen diskutiert werden. Themen wie die Rahmenbedingungen, Gründungsfinanzierung und -förderung sowie die allgemeine Kultur, in denen Gründungen stattfinden, werden von der Netzgemeinschaft diskutiert. Wer mitmachen will kann sich unter www.onlineantrag.spd.de anmelden. Ab dem 13. September werden in einer zehntägigen Bewertungsphase die gemachten Vorschläge bewertet. Aus dem Ergebnis entsteht der Antragstext.
Kultureller Wandel
Auf der "einzigen analogen Veranstaltung zum Thema", wie Teresa Bücker das "SPD Dinée Digital" nannte, diskutierten die Anwesenden angeregt. Einig war man sich, dass es bei dem Vorhaben nicht ausschließlich darum geht, einen Antrag zu erstellen und verabschieden, sondern auch um ein Umdenken in der Partei anzuregen. "Es muss im Bewusstsein der Partei ankommen, dass es für viele heute attraktiv ist, Freelancer zu sein" formulierte es ein Diskutant. Es ginge, so nannte es SPD-Vorstandsmitglied Björn Böhning, nicht um ein "Entweder oder" von klassischen Arbeitnehmern und Selbstständigen, sondern um ein "Sowohl als auch" im Bewusstsein der Partei.
Mehr Förderung oder mehr Freiheit?
Die Anwesenden diskutierten auch die Frage, ob es mehr Förderprogramme für Gründerinnen und Gründer geben müsse. Kontrovers flossen von allen Seiten des langen Präsidiumstisches Erfahrungen aus dem Alltag ein. "Für jedes Problem, das ihr hier diskutiert, kann ich euch ein Förderprogramm nennen", behauptete eine Hochschulmitarbeiterin, während die Gründer einer jungen Firma von ihren Erfahrungen berichteten: "Wir haben uns entschieden, unsere Arbeitszeit in das Unternehmen zu stecken und nicht in die aufwendige Suche nach bürokratischen Programmen."
Als Idee kam die Gründung einer neuen Gesellschaftsform auf. "Wir brauchen eine Art 'Studi-GmbH', die alle Vorteile der existierenden Unternehmensformen miteinander verbindet", formulierte es ein Anwesender. Hintergrund sei, dass viele von den potentiell jungen Gründern verunsichert würden. Sowohl die Probleme der diversen Gesellschaftsformen, die oft eine aufwendige Buchhaltung mit sich brächten, als auch die Angst vor einem finanziellen Scheitern blockierten viele Gründungen. "Vielleicht könnte eine neue Form, die für einen klar umrissenen Zeitraum als Hilfe zum Einstieg dient, dieses Problem minimieren", schlug ein Teilnehmer vor. Nachdem man den Beginn mit der Firma geschafft habe, könnte man diese in die klassischen Gesellschafterformen überführen.
Erfolgreicher Fortschritt?
Was sich auf der obersten Etage des WBH gestern abspielte, ist ein Sinnbild dessen, was die Partei erwartet. Zum einen ist ein Wandel der Mitgliedsstruktur zu erkennen. Die klassischen Arbeitnehmer werden ergänzt durch eine Generation von Freelancern und jungen Selbstständigen, die Gründergeist in sich trägt. Wie diese Mitglieder mit der digitalen Welt umgehen, verdeutlicht die Anschlussfähigkeit der Partei an den gesellschaftlichen Fortschritt im Netz. Der Online-Antrag ist der ernsthafte Versuch, die Anknüpfungspunkte der Partei an diese Gruppe sicher zu stellen. Ob das Projekt gelingt, hängt von der Online-Beteiligung in den kommenden Wochen ab.
war Praktikant beim vorwärts (2011) und ist Mitglied der Bezirksvertretung Köln-Ehrenfeld.