Daniel Barenboim hat schon eine Menge Auszeichnungen erhalten. Der Grammy gehört dazu, ebenso das Bundesverdienstkreuz. Der Preis, den der argentinisch-israelische Dirigent am
Dienstagvormittag im Willy-Brandt-Haus entgegen nimmt, ist aber etwas Besonderes: Barenboim ist der erste, der mit dem "Internationalen Willy-Brandt-Preis" geehrt wird.
Gestiftet wurde die mit 25 000 Euro dotierte Auszeichnung von Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder und seiner Frau Doris Schröder-Köpf sowie vom Chef des Touristikunternehmens TUI, Michael
Frenzel. "Wir verleihen den Willy-Brandt-Preis in großem Respekt vor dem Namensgeber, unserem langjährigen Vorsitzenden, Ehrenvorsitzenden und ersten sozialdemokratischen Kanzler der
Bundesrepublik Deutschland",
lässt SPD-Chef Sigmar Gabriel die Gäste wissen, die im Atrium des Willy-Brandt-Hauses kaum alle Platz
finden. Alt-Bundespräsident Richard von Weizsäcker ist unter ihnen genauso wie der frühere Außenminister Hans-Dietrich Genscher.
Vom Kalten Krieg zum Nahostkonflikt
41 Jahre ist es her, dass Willy Brandt in Warschau auf die Knie fiel und damit eine Ikone für die deutsch-polnische Aussöhnung schuf. Ein knappes Jahr später wurde er mit dem
Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Auch daran soll der Internationale Willy-Brandt-Preis erinnern.
"Es gibt Konflikte, die dauern so lange wie ein ganzes Menschenleben. Aber dann geschehen Dinge und Ereignisse, die bisweilen an Wunder grenzen: ein mutiger Protest in Polen und in anderen
osteuropäischen Ländern", erinnert Gabriel am Dienstag an den Fall des Eisernen Vorhangs 1989 - und schlägt den Bogen zum Nahostkonflikt. "Daniel Barenboim zeigt, dass es anders gehen kann. Dass
man anders denken kann. Und - ganz praktisch - anders handeln kann."
1999 hat der argentinisch-israelische Musiker gemeinsam mit dem palästinensischen Literaturwissenschaftler das "West-Eastern Divan Orchestra" gegründet. Junge Musiker aus Israel, Palästina
und anderen arabischen Staaten spielen hier gemeinsam. "In der Musik erleben wir, dass eine Modulation nur entsteht, wenn es eine Strategie gibt, sie kann nicht nur Taktik des Augenblickes sein.
Gleiches gilt meines Erachtens auch in der Politik",
schlägt Barenboim die Brücke zwischen Musik und Politik. "Willy Brandt war bereit, scheinbar
unpopuläre Entscheidungen zu fällen, um langfristige Ziele zu erreichen."
Was kommt nach dem arabischen Frühling?
Auf diesem Weg sieht der Dirigent auch sein Orchester. "Willy Brandts Vision der Entspannungspolitik ist eine im Nahostkonflikt schmerzlich vermisste Perspektive", sagt Barenboim und
appelliert an Europa "anders als in der Finanzkrise entschiedener zu handeln". Die Gefahr, keine Lösung zu finden, werde sonst immer größer - für Israel, für Palästina und für Europa.
An Europa wendet sich auch die zweite Preisträgerin des Tages, die Regisseurin Laila Soliman. "Die europäische Außenpolitik im Umgang zu ihren Nachbarn war fragwürdig, fast feige",
klagt sie. Über Jahrzehnte hätten europäische Politiker brutale Diktatoren unterstützt und "Geld in
sie investiert", bis der arabische Frühling einen Teil von ihnen hinwegfegte. Soliman macht die Revolution in Nordafrika zum Thema ihrer Theaterstücke.
"Wir brauchen eure Unterstützung nicht, um ein politisches System zu schaffen", lässt die Ägypterin die Gäste im Willy-Brandt-Haus wissen. "Aber wir brauchen euch, indem ihr euch auf die
Seite der Revolution und des Volkes stellt und das Militärregime verurteilt." Dass Laila Soliman einen Sonderpreis für besonderen politischen Mut erhält, wundert nach diesen Sätzen niemanden
mehr.
Hier lesen Sie die Reden von
Sigmar Gabriel
Daniel Barenboim
Laila Soliman
Egon Bahr
Hamed Abdel-Samad
im Wortlaut.