Parteileben

Die Macht der Datenriesen brechen

Die SPD muss dafür sorgen, dass aus technologischem Fortschritt sozialer Fortschritt wird.
von Andrea Nahles · 28. Juni 2018

Karl Marx wäre in diesem Jahr 200 Jahre alt geworden. Seine klare Analyse und sein realistischer Blick auf das Wesen des Kapitalismus haben uns Sozialdemokraten in der Vergangenheit geleitet. Hätte er uns heute noch was zu sagen? Ich glaube ja. Denn wir können Parallelen zwischen der industriellen und der digitalen Revolution erkennen: Goldgräberstimmung, geniale Ideen und unfassbare Gewinne. Neue Monopole und krasse wirtschaftliche Machtkonzentration. Andererseits: entwürdigende Abhängigkeiten, katastrophale Arbeitsverhältnisse und eine Gewinnverteilung mit maximaler Ungleichheit. Sascha Lobo nannte die SPD mal – bezogen auf die industrielle Revolution – die „Technologiebewältigungspartei“. Die politische Kraft, die dafür gesorgt hat, dass aus technologischem Fortschritt auch gesellschaftlicher Fortschritt werden konnte. Ich möchte, dass die SPD auch heute diese Zuschreibung verdient.

Rohstoff Daten

Die Digitalisierung verändert die Produktionsweise im Kapitalismus. Immer weniger geht es um die fabrikmäßige Herstellung von Waren und deren Verkauf, sondern um den Zugang und die Nutzung von Daten. Daten werden zum zentralen Rohstoff. Wer die Macht hat über die meisten Daten, macht die meisten Gewinne. Amazon, Alphabet (google), Apple, Microsoft und Facebook – aus kleinen kalifornischen Start-ups sind innerhalb kürzester Zeit die wirtschaftlich – und politisch – mächtigsten Konzerne der Welt geworden. Und das alles mit einem Rohstoff – Daten! Bemerkenswert ist der Lieferant dieses Rohstoffs. Es ist der User, der Konsument, der am Ende, statt entlohnt zu werden, dafür zahlen muss. Die Erträge fallen aber woanders an.

Die großen Monopolisten können unsere Märkte komplett umkrempeln. Soziale Standards und gewachsene mittelständische Strukturen interessieren kaum mehr. Ihre Gewinne führen sie in Steueroasen ab; sie finanzieren die Infrastrukturen, die sie nutzen, nicht mit. Der gesamtgesellschaftliche Reichtum nimmt aller Voraussicht nach durch die Digitalisierung zu. Das löst automatisch Verteilungsfragen aus. Ob die ­„Digitalisierungsdividende“ nur bei ganz Wenigen ankommt oder ob sie gerechter verteilt wird – das ist die Herausforderung für die Sozialdemokratie. Die Digitalisierung verändert die Spielregeln des Kapitalismus. Jetzt müssen wir die Spielregeln verändern, um auch dem digitalen Kapitalismus Grenzen zu setzen.

Wettbewerb im Datenkapitalismus ermöglichen

Neue Regeln müssen – wie vor 150 Jahren – dafür sorgen, dass der technische Fortschritt auch tatsächlich den Menschen zugutekommt. Zum Beispiel über bessere medizinische Versorgung, würdige Arbeitsbedingungen oder für Mechanismen, die alle an den Gewinnen dieser Wirtschaft teilhaben lassen. Insgesamt geht es um eine zeitgemäße Idee unserer solidarischen Marktwirtschaft. Um die Monopolstellung der Internet­giganten aufzulösen, ist der Rohstoff – die Daten – der entscheidende Hebel. Wir müssen den Wettbewerb im Datenkapitalismus ermöglichen. Ich fordere deshalb ein Gesetz zur Daten-Sharing-Pflicht!

Es geht nicht nur um das Öffnen von Schnittstellen. Die Pflicht zum Teilen von Daten hätte eine neue Qualität und würde einsetzen, sobald ein Unternehmen einen bestimmten Marktanteil erreicht hat. Oder – wie im Arzneimittelsektor – sobald eine gewisse Zeitspanne für eine digitale Innovation überschritten ist. Überschreitet ein Unternehmen diese Schwelle oder die Zeitspanne, muss es einen Teil seiner Daten mit allen Konkurrenten teilen! Durch diese Verpflichtung profitieren kleinere Wettbewerber. Die Marktmacht der Datenriesen wird gebrochen, indem kollektiv erzeugte Datensätze auch kollektiv genutzt werden können.

Es geht also wieder – wie zu Beginn der ersten industriellen Revolution – darum, eine Entwicklung nicht nur hinzunehmen, sondern als menschengemacht zu begreifen und entsprechend auch als von Menschen gestaltbar zu verstehen.

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