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Der Marathon-Mann

von Susanne Dohrn · 20. September 2009
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Er war die Überraschung im Kompetenzteam von Frank-Walter Steinmeier: Harald Christ, Sohn eines Opel-Arbeiters, mit 16 Jahren in die SPD eingetreten, zweiter Bildungsweg, erfolgreicher Unternehmer, Ex-Banker, finanziell unabhängig. Allenfalls Hamburger Genossen kannten den Namen, war er doch 2006-2007 ihr Schatzmeister.

Nun also "unser Mann für den Mittelstand", wie ihn eine Mitarbeiterin der SPD-Zentrale der versammelten Presse ankündigt. Ein großer Kerl, mit 37 Jahren genauso alt wie Wirtschaftsminister Guttenberg. Wohlhabend wie jener, aber jeder Cent selbst verdient. Als Jugendlicher war er rheinland-pfälzischer Landesmeister im 100-Meter-Sprint. Ehrgeiz muss er schon damals gehabt haben.

Harald Christ geht um den Tisch herum, gibt jedem Journalisten die Hand. Manche kennt er schon. Das Presseecho auf seine Nominierung war nicht nur freundlich. Seit 21 Jahren steht er im Beruf, was er erreicht hat, hat er seinem Einsatz und seiner Klugheit zu verdanken. Die Kapitalgesellschaft HCI, deren Vorstandsvorsitzender er 2005 bis 2007 war, steigerte die Mitarbeiterzahl von 60 auf 300 und das Unternehmensergebnis von 5 Millionen auf 40 Millionen. Nun muss er Journalisten erklären, dass er trotzdem keine Heuschrecke ist - "im Sinne Franz Münteferings, die Geld sammelt, investiert und kurzfristige Rendite erzielt". Dass er ein sozialdemokratischer Unternehmer ist. Einer der es ernst meint mit dem Satz des Grundgesetzes "Eigentum verpflichtet".

Später im Interview wird er definieren, was das für ihn, der in jungen Jahren Juso-Vorsitzender von Alzey-Worms war, heißt. Gewinne gehören dazu und unternehmerischer Erfolg. Aber nicht um jeden Preis. "In den Unternehmen, in denen ich die letzten Jahre engagiert war, habe ich dafür Sorge getragen, dass sie ausbilden und dass - bevor es um Arbeitsplatzabbau geht - der Unternehmer seinen Beitrag leistet."

Wählen Unternehmer SPD?

Man könnte es so formulieren: Harald Christ will ein guter Reicher sein, wie "Die Zeit" kürzlich schrieb. Er, der sich als junger Mensch nicht träumen lassen hat, dass er einmal eine "gewisse finanzielle Unabhängigkeit" erreichen würde, wirbt für die Wiedereinführung der Vermögenssteuer. Er, der von der sozialdemokratischen Politik der Chancengleichheit profitiert hat, sorgte in Hamburg dafür, dass Kinder und Jugendliche umsonst ins Museum gehen können. Er berät junge Gründer oder Tüftler, hilft mit Kontakten, kleinen Darlehen. "Business Angel" nennt man das. Christ: "Wenn wir es nicht schaffen, Gründergeist zu unterstützen, würden wir viele Erfolgsgeschichten nicht sehen."

Ein Mittelständler für den Mittelstand, der sich mit seinem ganzen Gewicht für die SPD in den Wahlkampf wirft. Wählen Unternehmer denn die SPD, Herr Christ? "In kleinen und mittelständischen Unternehmen arbeiten bis zu 90 Prozent der Arbeitnehmer in Deutschland. Das sind unsere Wählerinnen und Wähler." Im Übrigen könne die SPD mit der richtigen Politik auch die Unternehmerinnen und Unternehmer überzeugen.

Dazu bestreitet er derzeit seinen eigenen Marathon: 200 Termine bis zur Wahl. Zum Beispiel bei Berlin-Chemie oder Kiersch Composite in Wedel bei Hamburg. Mittelständler beide, das eine ein 1890 gegründetes Traditionsunternehmen mit 1900 Beschäftigten allein in Deutschland, das andere ein "start up", mit 7 Beschäftigten. In Berlin viel Presse, in Wedel vor allem örtliche Honoratioren, die stolz sind auf ihren innovativen Mittelständler und den prominenten Gast. In Berlin Fachgespräch über internationale Bilanzierungsrichtlinien und Forschungsinvestitionen, in Wedel das Besichtigen von praktischem Erfindergeist: Schellen aus Glasfaser für Bohrinseln, Tabletts aus Kohlefaser, mit denen sich Mahlzeiten erhitzen lassen, große "Pappkartons", in denen Materialen auf Hitzebeständigkeit geprüft werden.

Vom Banker zum Bankenkritiker

"Banken, den Frust spar' ich mir", sagt Unternehmensgründer Walter Kirsch. Man müsse Haus und Hof verpfänden, bevor man an Geld komme. Christ, der zum Bankenkritiker gewordene Ex-Banker, stimmt zu: "Wenn die Sonne scheint, wird der Regenschirm aufgespannt, und wenn der Regen kommt, wird der Schirm weggezogen." Es ist ein Termin nach seinem Geschmack. "Wer glaubt, dass in der Industrie neue Arbeitsplätze entstehen, der irrt sich." Neue Ideen, neue Geschäftsbereiche, das sei die Zukunft. Christ will wissen, was die Politik verbessern kann und wie der Mittelstand besser von Forschungsgeldern profitieren kann, wirbt für den Ombudsmann, den die SPD nach der Wahl einführen will und der zwischen Unternehmen und Banken vermitteln soll.


Christ will sich auch nach der Wahl weiter für die Mittelstandspolitik und für Arbeitsplätze in Deutschland stark machen. "Ich bin angetreten für einen Marathon", sagt er. Er werde auch nach dem 27. September politisch aktiv bleiben. "Am liebsten unter einem Kanzler Frank-Walter Steinmeier." n

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Susanne Dohrn

ist freie Autorin und ehemalige Chefredakteurin des vorwärts.

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