Denkmal für AWO-Gründerin: Martin Schulz würdigt Marie Juchacz
Nach den Anschlägen in Spanien ist an diesem Freitagmorgen alles anders als geplant. Eigentlich sollte es eine Veranstaltung werden mit Musik und fröhlichen Menschen. Der Anlass ist schließlich eine freudiger: die Enthüllung eines Denkmals für Marie Juchacz, der Gründerin der Arbeiterwohlfahrt (AWO) und ersten Frau, die in einem deutschen Parlament sprechen durfte. Doch die Instrumente bleiben stumm.
Nach Terror in Spanien: Schweigeminute statt Musik
Statt Musik gibt es auf der Grünfläche am Mehringplatz in Berlin-Kreuzberg eine Schweigeminute für die Opfer des Terroranschlags in Barcelona. In der ersten Reihe stehen SPD-Chef Martin Schulz, Generalsekretär Hubertus Heil, AWO-Präsident Wilhelm Schmidt und diverse Bundestagsabgeordnete mit ernsten Gesichtern nebeneinander. „Über alles politisch Trennende hinaus gibt es den gemeinsamen Willen, dem Terror keinen Platz zu lassen und sich ihm mit der Verteidigung der offenen und toleranten Gesellschaft in den Weg zu stellen“, sagt Schulz, bevor er zu seiner Rede auf die Bühne steigt. Mit Bundeskanzlerin Angela Merkel habe er deshalb vereinbart, an diesem Freitag den Wahlkampf zu beschränken und bei Veranstaltungen auf Musik zu verzichten.
Als der SPD-Vorsitzende dann auf der Bühne steht, hellt sich seine Miene auf. „Dies ist ein wunderbarer Tag für unsere Partei, weil die AWO Marie Juchacz ein Denkmal setzt.“ Für Schulz ist klar: „Ohne Marie Juchacz wäre Deutschland ein anderes Land“, das Denkmal sei eins „für ihr Lebenswerk“. Juchacz, die 1908 SPD-Mitglied wurde, habe sich Zeit ihres Lebens „gegen Ungerechtigkeit eingesetzt“. Sie war die erste Frau, die – 1919 in der Weimarer Nationalversammlung – in einem deutschen Parlament eine Rede hielt. Und sie war diejenige, die 1919 einen Antrag in den Vorstand der SPD einbrachte, der zur Gründung der AWO führte.
Schulz: Rückkehrrecht auf Vollzeit umsetzen
„Die AWO ist für die SPD ein Herzstück unserer Identität und wir sind stolz auf eure Leistungen“, lobt Martin Schulz den Sozialverband. Wer heute Kriegsopfern und Bedürftigen helfe, handele ganz im Sinne von Juchacz – und trage ganz wesentlich zum sozialen Zusammenhalt in Deutschland bei. Allerdings gebe es auch knapp hundert Jahre nach Gründung der AWO und Juchaczs Rede im Reichstag noch immer große Ungerechtigkeiten. „Die Gleichstellung von Frauen und Männer ist noch immer keine Realität“, klagt Schulz und verspricht, als „eine der ersten Amtshandlungen, wenn ich im Parlament eine Mehrheit bekomme“, den Rechtsanspruch für die Rückkehr von Teil- auf Vollzeit im Beruf durchzusetzen.
Ein anderes Gerechtigkeitsthema nennt Berlins Innensenator Andreas Geisel. „Unsere Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit hätte Marie Juchacz sicher gut gefallen“, meint der SPD-Politiker. „Allerdings wäre sie bestimmt auch sauer, dass wir sie noch immer nicht verwirklicht haben.“ Die Berliner Politik handele ganz im Sinne Juchachzs. „Wir unterstützen Menschen, die anderen helfen“, sagt er. So will der Senat ehrenamtliches Engagement stärker fördern. Auch für die Gründung einer bundesweiten Engagementstiftung setzt er sich ein. „Die Ideale von Marie Juchacz sind in Berlin weiter vertreten“, sagt Geisel.
Ein Denkmal aus Spenden finanziert
Dass ihr erst jetzt, 61 Jahre nach ihrem Tod, ein Denkmal gesetzt wird, kann AWO-Präsident Wilhelm Schmidt im Rückblick selbst nicht mehr so recht verstehen. „Warum wir nicht früher auf die Idee gekommen sind, ihr ein Denkmal zu setzen, kann ich gar nicht sagen.“ Umso froher ist Schmidt, dass das Denkmal des Künstlers Gerd Winner nach gut zweijähriger Planung seinen Platz am Rande des Mehringplatzes, und damit am ehemaligen Standort der ersten AWO-Zentrale und -Wohlfahrtsschule, gefunden hat. Es wurde größtenteils aus Spenden finanziert.
Neben den Kopfumrissen Juchaczs finden sich im acht Zentimeter dicken Stahl die Worte „Freiheit“, „Gerechtigkeit“, „Gleichheit“, „Toleranz“ und „Solidaritaet“ – die fünf Grundwerte der AWO. Sie seien als „Erinnerung und Mahnung zugleich“ zu verstehen, erklärt der Künstler Gerd Winner. Er hoffe, „dass diese Skulptur weitere Impulse unserer Solidarität gibt“.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.