Das ist die dienstälteste Sozialdemokratin Deutschlands
Christian Kosak
Einmalige Geschichten gibt es viele, zumindest dem Namen nach. Die von Luise Nordhold und der SPD ist es wirklich. Im Jahr 1927 wurde Nordhold Mitglied der Partei. Inzwischen ist sie 100 Jahre alt und damit die dienstälteste Sozialdemokratin überhaupt. „Ich bin halt einfach noch nicht gestorben“, erklärt Nordhold ihren Rekord flapsig und macht damit ihrer Selbstbeschreibung als echte Frohnatur alle Ehre.
Ein Leben für sozialdemokratische Werte
Wer sich mit ihr unterhält, merkt schnell: Die Zugehörigkeit zur SPD bedeutet Nordhold mehr als den bloßen Besitz des in die Jahre gekommenen Parteibuches. Den sozialdemokratischen Grundwerten Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität fühlte sie sich ihr Leben lang nicht nur verpflichtet, sie lebt sie. In die SPD, genauer deren Jugendorganisation „Rote Falken“, trat Nordhold zu jener Zeit ein, als Deutschland sich erstmals an einer parlamentarischen Demokratie versuchte.
Die „goldenen 20er Jahre“, von denen in Geschichtsbüchern häufig die Rede ist, zogen an der Familie von Luise Nordhold vorbei. Zwar habe sie als Tochter eines Drehers und einer Hausschneiderin nie Hunger leiden müssen, dennoch war der Alltag der Familie Haverich von Sparsamkeit geprägt. „Eine Scheibe Brot für Hilfebedürftige hatten meine Eltern aber immer übrig“, erzählt Nordhold, die ihren Geburtsnamen nach der Hochzeit mit 19 Jahren abgelegt hatte.
Für die „höhere Schule“ fehlte das Geld
Zu Ehrlichkeit, Offenheit und Hilfsbereitschaft erzogen, spielte Politik im Leben der jungen Luise schon früh eine Rolle. „Ich bin in einer sozialdemokratischen Familie aufgewachsen, zu Hause wurde viel politisiert“, erinnert sich Nordhold. Die Notwendigkeit sozialdemokratischer Politik bekam sie schnell am eigenen Leib zu spüren. Weil der Familie das Geld fehlte, blieb Nordhold der Besuch einer „höheren Schule“ verwehrt – die Empfehlung ihrer Lehrer war ohne die nötigen finanziellen Mittel nichts wert.
Vielleicht auch deshalb antwortet Luise Nordhold noch heute auf die Frage nach der zentralen Aufgabe der SPD: „Soziale Gerechtigkeit herstellen“. Die Partei müsse sich weiterhin „um die kleinen Leute kümmern“. Das sei „jahrelang viel zu wenig passiert“, kritisiert Nordhold. Als Kommunalpolitikerin habe sie sich häufig den Vorwurf anhören müssen, die Partei verliere die Interessen hilfebedürftiger Menschen aus den Augen. „Dabei sind es doch gerade die großen Vertreter der Partei, die die kleinen Leute ansprechen und inspirieren müssen“, so Nordhold. „Unters Volk gehen!“, fordert sie von Sozialdemokraten – „nicht nur vor den Wahlen“.
„Die Leute laufen der AfD blind hinterher“
In den neuen Parteichef und Kanzlerkandidaten Martin Schulz setzt Nordhold die Hoffnung, „dass es mit der SPD wieder bergauf geht“. Der Euphorie um seine Person will sich Nordhold jedoch nicht anschließen. „Er muss durchsetzen, was er fordert“, kommentiert sie trocken. Für vorschnelle Lobeshymnen hat die 100-Jährige – die 15 Parteivorsitzende kommen und gehen sah – wohl einfach zu viel erlebt.
Geht es um die Haltung gegenüber Rechtspopulisten und AfD, ist Schulz zu 100 Prozent ihr Kandidat. Deren Aufstieg beobachtet Nordhold mit großer Sorge: „Die Leute laufen der AfD nach wie sie Hitler nachgelaufen sind, blind hinterher“, erklärt sie und erinnert sich an die „fürchterliche Zeit“ vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. „Das kann sich heute keiner mehr vorstellen, so schlimm war das. Ich habe ernsthaft Angst davor, dass uns so etwas wieder bevorsteht“, so Luise Nordhold. „Zu viele Menschen sind einfach zu wenig politisch interessiert. Die denken gar nicht darüber nach, was und wen sie da wählen“, antwortet sie auf die Frage nach den Ursachen für das Aufkeimen nationalistischer Bewegungen in Deutschland und Europa.
Im Krieg ihr Zuhause verloren
Nicht allein zum Thema AfD hat Nordhold eine klare Position. Die Flüchtlingspolitik müsse sich mehr auf die Herkunftsländer der Menschen konzentrieren. „Dort würden sich die Leute wohler fühlen“, ist sich Nordhold sicher. „Dass wir ein einiges Europa haben, ist ganz wichtig“, sagt sie in Bezug auf die unter Beschuss geratene Europäische Union und fügt hinzu: „Wir müssen uns wieder mehr nach dem Osten orientieren.“ Putin sei nicht der einfachste Partner, doch nur weil einem der Nachbar nicht sympathisch sei, müsse man nicht gleich mit ihm streiten. Worte einer Sozialdemokratin, die Krieg noch selbst erlebt hat. Zwei Mal wurde die damals in der Nähe von Bremen wohnende Familie ausgebombt.
Dafür, dass es so weit nicht wieder kommt, werden andere zu sorgen haben. Menschen wie der älteste Urenkel von Luise Nordhold. Mit 17 trat dieser vor wenigen Wochen den Sozialdemokraten bei. „Das macht mich stolz und glücklich“, kommentiert die Urgroßmutter. Es scheint, als werde in der Familie von Luise Nordhold das Parteibuch tatsächlich noch vererbt.
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