Parteileben

Begeistern mit Geschichte

von Kai Doering · 10. Juli 2013

Bis 1933 war die SPD in Görlitz die Ton angebende Kraft. In der Nazi-Zeit und während der DDR verloren die Sozialdemokraten an Einfluss. Der Ortsverein will nun die reiche Partei-Geschichte nutzen, um mehr Menschen für die Arbeit der SPD in der Gegenwart zu interessieren.

Der Sündenbock war stets schnell gefunden. „Alles, was in Görlitz nicht funktionierte, wurde dem Sozialdemokratismus zugeschrieben“, sagt Heidi Roth „ob es Maschinenausfälle waren oder Brände“. Es ist ein warmer Juni-Abend, als die Leipziger ­Historikerin in ihrem Vortrag über den DDR-Volksaufstand am 17. Juni 1953 auf die SPD zu sprechen kommt. Unter dem Vorwurf des „Sozialdemokratismus“ verfolgte die SED die Sozialdemokraten.

„Vor 1933 war die SPD in Görlitz stark und selbst nach der Vereinigung mit der KPD zur SED galt der Sozialdemokratismus als bedeutender Gegner der Staatsführung“, erzählt Roth den Versammelten im Schlesischen Museum. Nur wenige Meter entfernt auf dem damaligen Leninplatz demonstrierten am 17. Juni 1953 rund 35 000 Menschen gegen die Regierung der DDR.

Sprungbrett für Soziademokraten

„Es soll damals sogar den Versuch gegeben haben, die SPD in Görlitz wiederzugründen“, erzählt Gerhild Kreutziger. Die Vorsitzende der Görlitzer SPD ist stolz auf die Geschichte ihres Ortsvereins. „Görlitz war Sprungbrett für viele berühmte Sozialdemokraten“, schwärmt sie. Reichstagspräsident Paul Löbe lebte ebenso ­einige Zeit in der Stadt wie Reichskanzler Hermann Müller – beide bevor sie in Berlin Karriere machten. „Und Rosa Luxemburg soll in Görlitz eine viel beachtete Rede gehalten haben – auf Deutsch und auf Polnisch“, erzählt Kreuziger. Im September möchte der OV diese im Rahmen einer szenischen Lesung nachstellen.

„Wir wollen keine Historikerpartei sein“, sagt Gerhild Kreutziger, „aber die Menschen mithilfe der Geschichte unserer Partei für die SPD von heute begeistern.“ Deshalb hat der OV auch das Grab von Hugo Keller wieder hergerichtet und am 1. Juni des Mitbegründers des ADAV in Görlitz gedacht. Es war der Auftakt zum „Roten Meer in Görlitz“. „Im Jubiläumsjahr der SPD wollten wir Soziademokraten aus dem gesamten Bundesgebiet zusammenbringen und ein Wochenende mit ihnen feiern“, erklärt die OV-Vorsitzende die Idee.

Euphorie im roten Meer

Aufhänger war der Europa-Marathon, der die Läufer im Juni zum zehnten Mal durch den deutschen und den polnischen Teil von Görlitz/Zgorzelec führte.  Vorher hatten Rainer Schöps, Sportbeauftrager des OV, und Mike Thomas mehr als 6000 E-Mail-Adressen von SPD-Ortsvereinen recherchiert, Gerhild Kreutziger diese angeschrieben und zur Teilnahme am Marathon eingeladen. „Alle sollten im roten T-Shirt mitlaufen oder am Straßenrand anfeuern und die Stadt so in ein rotes Meer verwandeln“, erklärt Schöps.

Leider machte das Wetter den Görlitzern zum Teil einen Strich durch die Rechnung. Zwar kamen Genossen aus zehn Bundesländern, doch das Hochwasser in Sachsen hielt viele, die bereits zugesagt hatten, von der Anreise ab. Trotzdem soll das „Rote Meer“ künftig  jährlich stattfinden.

„Das Rote Meer war eine äußerst erfolgreiche Aktion“, sagt Thomas Jurk. Er war stellvertretender Ministerpräsident von Sachsen und ist nun Spitzenkandidat der SPD im Freistaat für die Bundestagswahl. Beim Europa-Marathon wurde der gebürtige Görlitzer Erster seiner Altersklasse im Walken. „Görlitz ist ein schwieriger Wahlkreis“, sagt Jurk. Er möchte die CDU-Hochburg trotzdem direkt erobern. Gerhild Kreutziger und ihre Mitstreiter werden ihn dabei unterstützen, auch wenn der OV nur 46 Mitglieder zählt. Der „Sozialdemokratismus“ hat in Görlitz schließlich schon ganz andere Dinge bewegt.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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