Parteileben

Baccum, fertig, los!

von Birgit Güll · 30. Juni 2010
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Das niedersächsische Emsland ist so schwarz, "dass selbst die Kohlen im Keller noch Schatten werfen", sagt Reinhold Hoffmann. Er ist seit 20 Jahren der Vorsitzende des Ortsvereins Baccum. Bei jeder Wahl wird er einstimmig wiedergewählt, es gibt noch nicht mal Enthaltungen. "Warum soll man dagegen stimmen, wenn's gut läuft?", sagt Maria Roling. Sie ist ein Urgestein der ­Baccumer Sozialdemokraten. Und das ist schon etwas Besonderes, denn die Dame ist - recht typisch für die Region - eine katholische Bäuerin.

Was hätte da näher gelegen, als der Weg zu den Konservativen? Nichts, deshalb hat sie auch an deren Türe geklopft, als die Erhöhung der Trinkwasserförderung Probleme verursachte. Doch Fehlanzeige, niemand sah sich zuständig für die Sorgen der Baccumerin. So fragte sie mal bei den Sozialdemokraten nach. Die Genossen wurden sofort aktiv. Seitdem fühlt Maria Roling sich dem roten Ortsverein zugehörig: 19 Jahre ist sie SPD-Mitglied.

Das Rezept heißt: sich kümmern

Ihr Ortsverein ist gerade mal ein Jahr älter. 1990 gegründet, zunächst als Stadtverband dem Ortsverein Lingen zugehörig, sind die Baccumer seit dem letzten Jahr eigenständig. Ihr Rezept zur Mitglieder-Gewinnung klingt denkbar einfach: Man kümmert sich um die Bedürfnisse der Menschen, nimmt sie ernst. Und es funktioniert. 35 Mitglieder hat der OV Baccum. Das klingt bescheiden, doch im Landkreis, mit seiner schwarzen Zwei-Drittel-Mehrheit, ist diese rote Bastion ein echter Farbtupfer im politischen System. Der Trend geht nach oben: Allein im vergangenen Jahr sind sechs Neue eingetreten.

Die Tür steht weit offen. Das machen nicht zuletzt die Reisen des Ortsvereins Baccum deutlich. Da können alle mitfahren: Genossen, Parteilose, selbst jene mit CDU-Parteibuch. Wer nun politische Werbeausflüge oder gar Bekehrungen on Tour vermutet, liegt falsch. Vielmehr wird unter dem Motto "Verstehen durch Erleben" Europa bereist, werden neue Blickwinkel eröffnet. 39 Reisen haben die Baccumer bereits organisiert, mehr als 3000 Menschen waren mit dabei.

Im kommenden März steht ein Jubiläum an: Die 40. Reise führt per Schiff von Lingen nach Berlin. 85 können mitfahren, mehr als 70 sind bereits angemeldet. Der Zuspruch freut die Baccumer. Wirklich verwunderlich ist er nicht, schließlich waren die bisherigen Touren durchweg Erfolge. Das liegt auch an der Vorbereitung: Reiseunterlagen werden zusammengestellt, das Programm ist abgesprochen. "Wir richten uns nach den Wünschen der Leute", sagt Reinhold Hoffmann. Bisher ist es gelungen, die richtige Mischung aus Bildung und Erholung, aus Miteinander und Freiraum zu finden.

Besser sein als andere Parteien

Und die Baccumer haben Kontakte geknüpft. Auch die Schiffstour soll neue Freundschaften bringen: Überall wo sie von Bord gehen, wollen sie Menschen treffen, SPD-Ortsvereine bevorzugt. Die können sicher mit einer Gegeneinladung ins Emsland rechnen. Sie wären nicht die ersten Sozialdemokraten, die in der katholisch-konservativen Gegend ein herzlicher Empfang erwartet.

Johannes Rau war schon da, das war 1996. Der Saal sei fast auseinander gebrochen, erinnern sich die Baccumer. Rau hat diesen Besuch nicht vergessen. "Papa, da will Dich jemand verarschen", erinnert sich das Ehepaar Hoffmann an die ungläubige Reaktion ihres Sohnes auf einen Anruf Raus. "Der Bundespräsident verarscht niemanden", suchte ­dieser seine Echtheit zu bestätigen. Er war ein Politiker nach dem Geschmack der Baccumer.

Sie beherzigen seinen Ausspruch, dass es besser sei, jeden Tag fünf Minuten über die SPD zu reden, als ein Mal eine große Rede zu schwingen, sagt Herbert Jäger. Der stellvertretende OV-Vorsitzende klingelt mit jeder Info-Post an den Türen der Menschen. Ob sie sich für einen DSL-Anschluss für jeden Haushalt stark machen oder gegen den Wildwuchs bei den Biogas-Anlagen kämpfen, die Baccumer Sozialdemokraten gestalten aus der Opposi­tion heraus - und ­finden Anklang. Die kleine rote Bastion sprudelt über vor Tatendrang, ihr Vorsitzender formuliert es so: "Wir wollen die anderen Parteien nicht überflüssig machen, sondern selbst besser sein."

Autor*in
Birgit Güll

ist Redakteurin, die für den „vorwärts“ über Kultur berichtet.

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