Parteileben

Aus Ägypten in die SPD

Er kämpfte für die Demokratie in Ägypten und musste deshalb das Land verlassen. In Deutschland fand Hussien Khedr eine neue Heimat. Und in der SPD. Heute macht er erfolgreich Politik in der westfälischen Provinz.
von Robert Kiesel · 15. März 2016
Hussien Khedr
Hussien Khedr

„Hiddenhausen, das ist doch tote Hose.“ An den ersten Eindruck nach seiner Ankunft im Osten Westfalens erinnert sich Hussien Khedr noch sehr genau. Aus Kairo kommend, jener Millionen-Metropole, die er 24 Jahre lang seine Heimat nannte, wirkte die knapp 20.000 Einwohner zählende Gemeinde doch sehr beschaulich. Mittlerweile möchte der 29-Jährige weder Hiddenhausen noch die SPD missen. Dazu später mehr.

Zunächst geht es um eine Flucht, deren Auslöser ausgerechnet ein Aufbruch bildete. Einer, der Ägypten am 25. Januar 2011 erfasste, den „Arabischen Frühling“ vorantrieb, um am Ende „nicht nur umgebracht, sondern auch vergewaltigt“ zu werden, so Hussien Khedr. Er war dabei, ging am „Tahrir“ auf die Straße, demonstrierte für seine „verlorene Generation“. Der Preis war hoch: „Ich habe gute Freunde zu Grabe getragen“, erzählt Khedr. Und nicht nur das.

Als Hussien Khedr ging, war zuhause die Hölle los

Weil die Revolution in ­einer Spirale der Gewalt mündete und sich das Militär an seine Versen heftete, erkannte Khedr: „Ägypten ist nicht mehr mein Land“. Gemeinsam mit seiner deutschen Ehefrau Nina – beide hatten sich in Kairo kennengelernt und wollten dort zusammen leben – plante er die Ausreise nach Deutschland.

Kein einfacher Schritt: „Zuhause war es die Hölle, als wäre ich gestorben“, erinnert sich Khedr. Der älteste Sohn der Familie, auf dem Sprung in ein fremdes Land, ein schwerer Schlag für die Eltern und seine sechs Geschwister. Der jüngste Bruder versteckte sich gar in Khedrs Koffer, um an dessen Seite bleiben zu können. Es half alles nichts.

Verständigung mit Händen und Füßen

In Hiddenhausen, dem Heimatort seiner Ehefrau, war der Anfang schwer. „Eine Woche lang habe ich mich nicht aus dem Haus getraut, dann bin ich zu den Nachbarn, habe meine Hilfe bei der Gartenarbeit angeboten“, erinnert sich Khedr. Mit Händen und Füßen habe er sich verständigt, zog später von einem Geschäft zum nächsten, um Arbeit und Anschluss zu finden. Vergebens.

Deutschkenntnisse mussten her. Schon bald paukte Khedr von 7 bis 13 Uhr im zehn Kilometer entfernten Herford Vokabeln und Grammatik, zwischen eins und drei erledigte er die Hausaufgaben. „Meist habe ich mich dafür in die Bushaltestelle gesetzt“, erzählt Khedr. Der damals 25-Jährige, kurz zuvor in Ägypten noch Student in BWL und Jura, fing in Deutschland als „Schuljunge“ wieder von vorne an. Khedr biss sich durch, jobbte, kam ohne Sozialleistungen aus. Das „härteste Jahr meines Lebens“, sagt er heute.

Integration ist Hussien Khedrs Thema

Der deutschen Sprache mächtig, suchte Khedr auch politisch Anschluss. Zunächst bei den Grünen, später bei den Linken steckte er „die Nase rein“, fand aber keine Heimat. Ein Buch zur Geschichte der Sozialdemokratie änderte das. Für Khedr war klar: „Mein Vater war Malocher, deshalb die Partei der Arbeiter.“ Anfang 2014 trat er in die SPD ein.

Das Ende? Nein, der Anfang! „Ich mag keine Ruhe, dann mache ich eben Unruhe“, so Khedrs Credo. Sein Schwerpunkt: Die Integrationspolitik. „Die gab es vorher nicht, also wollte ich sie machen“, sagt er offen und spricht auch über Widerstände innerhalb der Partei. Frauen oder Migranten aufzustellen, dazu waren und sind nicht alle Genossen bereit, so Khedr. Dementsprechend schwer war es, seinen Plan von der Einrichtung eines Integrationsrats  umzusetzen.

„Ich ziehe durch, was ich will und was ich vorhabe“

Doch Hussien Khedr kann kämpfen. „Ich ziehe durch, was ich will und was ich vorhabe“, sagt er und nimmt in Kauf, dafür schon mal von den eigenen Genossen angezählt zu werden. Über den ironisch gemeinten Vorwurf einer Genossin, Khedr leide wohl an ADHS, kann er lachen. Über andere nicht.

Zum Groll hat er derzeit aber wenig Anlass. Mit der Gründung eines Integrationsrats in der Gemeinde Hiddenhausen und der AG Migration beim SPD-Kreisverband Herford hat er zusammen mit anderen Marksteine gesetzt.

Khedrs Vision: „Achmed und Fathma sollen für uns Politik machen können.“

Beiden Gremien sitzt er vor. Darüber hinaus ist Khedr Mitglied im Landesvorstand der AG Migration und Vielfalt der SPD Nordrhein-Westfalen. Privat absolviert er eine Ausbildung zum Fachinformatiker.
Und dann ist da noch die ehrenamtliche Hilfe für Flüchtlinge vor Ort. Zusammen mit zahllosen engagierten Helfern organisiert Khedr Sprachkurse, einen Fahrdienst, Beschäftigungsmöglichkeiten. Manchmal hört er aber auch einfach nur zu, erzählt seine Geschichte, schenkt Hoffnung.

Und es geht weiter. Weil auch im Kreis Herford, einer Region mit 20 Prozent Migrantenanteil, laut Khedr zu wenig Zuwanderer den Weg in die ­Partei und ihre Gremien finden, ist er lange noch nicht am Ziel. Das lautet: „Wir wollen keine Politik nur für Fathma und Achmed machen, aber Achmed und Fathma sollen für uns Politik machen können.“

Autor*in
Robert Kiesel

war bis März 2018 Redakteur des vorwärts.

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