Parteileben

Aufruf: Die SPD als „Partei für die Vielen, nicht die Wenigen“

Nach der Bundestagswahl fordern viele eine umfassende Erneuerung der SPD. Marco Bülow ist einer davon. Sein Aufruf trägt Züge des in Großbritannien erfolgreichen Labour-Chefs Jeremy Corbyn.
von Robert Kiesel · 12. Oktober 2017
Wenn die SPD wieder wahrgenommen werden will, dann muss sie auch bereit sein, als Oppositionsführerpartei Verantwortung für unser Land zu übernehmen, meint Neumitglied Julian Heel.
Wenn die SPD wieder wahrgenommen werden will, dann muss sie auch bereit sein, als Oppositionsführerpartei Verantwortung für unser Land zu übernehmen, meint Neumitglied Julian Heel.

Immerhin, mit dem eigenen Ergebnis kann Marco Bülow mehr oder minder zufrieden sein. Mit zehn Prozentpunkten Vorsprung auf den CDU-Kontrahenten verteidigte er das Direktmandat im Wahlkreis Dortmund I, seit der Wahl im Jahr 2002 vertritt er die rund 215.000 Wahlberechtigten der Ruhrpott-Metropole im Bundestag. Mit 30 Prozent lag das Zweitstimmenergebnis seiner Partei im Wahlkreis deutlich über dem Bundesschnitt der SPD, immerhin. Das historisch schlechte Abschneiden im Bund ist es jedoch, das Bülow die Laune verhagelt. So sehr, dass der Freie Journalist und Publizist selbst zur Feder griff. Auf seiner Homepage veröffentlichte Bülow einen Aufruf unter dem Titel „spd.erneuern“. Er reiht sich damit ein in eine Serie von Initiativen und Vorschlägen, die nach dem Wahldebakel für die SPD eine umfassende Aufarbeitung in der Partei fordern.

„Diese Wahl ist ein Desaster“

Seinem Ruf, Kritik wenn nötig deutlich bis harsch zu formulieren, wird der Parteilinke Bülow darin einmal mehr gerecht. Unter dem von Jeremy Corbyn und der Labour-Partei entlehnten Titel „Eine Partei für die Vielen, nicht die Wenigen“ verwahrt sich der 46-Jährige gegen ein „Weiter so“, wie es aus seiner Sicht nach den ebenfalls schmerzhaften Niederlagen der Jahre 2009 und 2013 praktiziert wurde. Für das Wahlergebnis vom 24. September findet Bülow klare Worte: „Diese Wahl ist ein Desaster. Es gibt hier nichts mehr schönzureden oder zu beschwichtigen“, schreibt er und begrüßt noch am Wahltag getroffene Entscheidung, die Große Koalition zu beenden.

Die wohl eindringlichste Forderung Bülows ist die nach einer kritischen Analyse und echten Erneuerung der Partei, inhaltlich wie personell: „Die SPD wurde von oben nach unten regiert und aus einer lebendigen, streitbaren Partei ist zu sehr ein Wahlverein geworden“, moniert Bülow. Ohne „den einen Sündenbock“ suchen zu wollen, erinnert Bülow an die personelle Verantwortung „vor allem derjenigen, die schon länger unseren Kurs an den Schalthebeln der Partei, der Regierung und der Fraktion maßgeblich mitbestimmt haben. Eine Erneuerung ist nur glaubwürdig, wenn nicht wieder die gleichen Leute, deren Strategie und Führung gescheitert ist, die wichtigen Positionen besetzen“, schreibt er und merkt an: „Es darf nicht sein, dass neugewählte Abgeordnete schon vor der ersten Fraktionssitzung erfahren, wer sie zukünftig anführen soll.“ Eine kaum verhohlene Kritik am Procedere vor der Wahl von Andrea Nahles zur Fraktionsvorsitzenden der SPD im Bundestag.

„Es geht jetzt ums Überleben der SPD“

Mit Blick in die Zukunft erklärt Bülow: „Die Basis ist das Herz unserer Partei, sie muss mehr und deutlicher eingebunden werden. Der Parteiapparat muss modernisiert, Zugänge und Mitbestimmung gerade auch online erleichtert werden.“ Benötigt würden mehr inner- und außerparteiliche Transparenz, mehr Debatten und politische Auseinandersetzungen, mehr Lebendigkeit. „Die SPD war dann am stärksten, als sie heftig um die Themen gerungen hat“, so Bülow. Seinen Aufruf schließt Bülow mit dem Appell: „Es geht jetzt ums Überleben der SPD - Wir brauchen Visionen und Botschaften, die praktikabel sind UND begeistern.“

Klar ist: Analyse und Forderungen Bülows treffen auf Widerhall. Seit Veröffentlichung des Aufrufs haben 1800 Menschen per Unterschrift ihre Unterstützung signalisiert, mehrere hundert pro Tag. In den sozialen Netzwerken, insbesondere auf Facebook, werden der Aufruf und die darin enthaltenen Vorschläge kontrovers diskutiert.

Autor*in
Robert Kiesel

war bis März 2018 Redakteur des vorwärts.

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