Albrecht Schröter: Der Demokratieverteidiger
Er reißt das Papier herunter, stellt einen großen Bilderrahmen auf den Tisch und sagt: „Hiermit übergebe ich den ‚Preis für Zivilcourage gegen Rechtsradikalismus und Rassismus’ an alle Bürgerinnen und Bürger Jenas, die sich den Neonazis entgegenstellen.“ Danach stellt er das Bild zur Seite und geht zur Tagesordnung über. Eine Inszenierung der Übergabe für die anwesende Presse bleibt aus. Ungewöhnlich wie erfrischend – und zielgerichtet.
Den Preis hat Schröter einige Tage zuvor in Berlin erhalten, verliehen vom Förderkreis des Denkmals für die ermordeten Juden Europas und der Jüdischen Gemeinde zu Berlin.
Seit Jahren aktiv gegen Rechts
Nicht auf Erreichtem ausruhen ist offenbar eine Maxime des 56-Jährigen, schließlich gibt es Wichtigeres zu klären. Zum Beispiel, wie weit die Planung für den Protest gegen die alljährliche Neonazi-Demonstration in Dresden im Februar 2012 ist. Und wie Jena auf die Schlagzeilen über die Herkunft der Zwickauer Terrorzelle reagieren soll.
Der Pressewirbel um die drei in Jena geborenen Neonazis, die jahrelang im Untergrund gelebt und gemordet haben, passt nicht zum Selbstverständnis der Stadt. Doch Schröter ist überzeugt: Jena hat sich in den letzten zehn Jahren einen starken Ruf gegen Rechtsextremismus erworben. Die Sorge um Jenas Image ist bei einigen Teilnehmern am „Runden Tisch“ trotzdem zu spüren. Man will nicht als „braunes Nest“ dargestellt werden, den Nazis dadurch gar einen „späten Triumph gönnen“.
Oberbürgermeister Schröter setzt sich seit langem gegen Rechts ein. Als Sozialdezernent hat er 2001 das Jenaer „Stadtprogramm gegen Fremdenfeindlichkeit, Rechtsextremismus, Antisemitismus und Intoleranz“ mit auf den Weg gebracht. Seine Meinung äußert er ohne Rücksicht auf seine Karriere.
In der DDR war er Außenseiter
Ein Rebell ist Schröter aber nicht, nur überzeugt von seiner Sache und in dieser Hinsicht angenehm geradlinig. In seiner Biografie finden sich keine Brüche, nicht einmal in jungen Jahren. In der DDR war er von kleinauf Außenseiter: Der Pfarrerssohn war weder Pionier noch in der FDJ noch in einer Partei. Er wollte kein Teil des Regimes sein. Weil er sich kritisch über den DDR-Staat äußerte, wurde ihm das Abitur verweigert – aus politischen Gründen. Nach einer Studienreifeprüfung 1974 konnte Schröter trotzdem studieren und wurde evangelischer Pastor, wie sein Vater.
War er als Jugendlicher durchaus „kritisch und ein bisschen aufmüpfig“, so würde er sich heute nicht als Provokateur bezeichnen: „Ich bin eher auf Ausgleich bedacht. Nur in der Sache, da bin ich klar. Wenn ich mich einmal positioniert habe, stehe ich auch dazu. Und in der Frage Rechtsextremismus ohne jeden Kompromiss“, sagt er über sich selbst.
Die aktuelle Diskussion sieht der heutige Oberbürgermeister denn auch als Chance: „Wir sollten ins Auge fassen, dass in der Vergangenheit bestimmte Dinge nicht ernst genommen worden sind und was wir daraus lernen können.“ Und er liefert ein Beispiel, das ihn seit Jahren stört: „In den 1990er Jahren ist meiner Meinung nach nicht hart genug durchgegriffen worden. Diese Tendenz zur Verharmlosung und die Gleichmacherei von Links- und Rechtsextremismus haben letztlich zu einer Bagatellisierung geführt. Das ist gefährlich“, warnt er.
Im Kampf gegen Rechts reichen staatliche Strukturen allein nicht aus. Das war schon in der DDR so – Neonazis gab es in der DDR ja offiziell nicht –, und auch heute noch gilt für Schröter: Nur wenn sich viele gemeinsam einsetzen, kann man etwas erreichen. In seiner Funktion als Oberbürgermeister sind ihm da eher die Hände gebunden: Als Leiter der Versammlungsbehörde ist er zu Neutralität verpflichtet. Auf Demonstrationen geht er deshalb als Privatmensch.
Als Oberbürgermeister aber ruft er die Jenaer zu solchen Gegendemonstrationen auf. 2010 hat er dafür eigens die Initiative „Kommunen gegen Rechtsextremismus“ gegründet. Hier unterstützen Bürgermeister wann immer möglich ihre Kollegen bei Aktionen gegen Nazis. „Ich habe auf diese Weise schon mehrfach in Dresden demonstriert, in Chemnitz, in Erfurt – in einer ganzen Reihe von Orten“, berichtet er.
Die Rache der Nazis
Mit Sitzblockaden hat Schröter vor einigen Jahren ein besonders wirksames Mittel gegen Neonazis entdeckt. 2007 behinderten 3000 Jenaer das rechtsextreme „Fest der Völker“ mit ihrem Streik so erfolgreich, dass seither keine größeren Nazi-Aufmärsche mehr in Jena stattfanden.
Schröters Engagement ist echt und nicht bloß Modeerscheinung im Zuge aktueller Ereignisse. Unermüdlich fordert er ein NPD-Verbot: „Weil sie dem Ungeist huldigt, der Deutschland ins Unglück gestürzt hat. Und niemand will diesen Geist wieder beleben bis auf ein paar, die meinen, die Demokratie aushebeln zu müssen.“
So viel Einsatz gegen Rechts ist nicht ganz ungefährlich: „Wenn man sich engagieren will, muss man sich entscheiden zum Mut. Nazis sind aggressiv und rachsüchtig. Aber so gefährlich, dass keiner sich mehr traut, ist es nicht.“ Ihm selbst sei noch nichts passiert. Nur im vergangenen Jahr, da gab es einen Vorfall. Zwei Neonazis hatten auf sein Privathaus sein Konterfei gesprüht zusammen mit dem Spruch: „Wanted – Dead or alive“. Die Täter hat man gefasst. Schröters Aufgabe ist damit noch lange nicht beendet.
ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2013 hat sie beim vorwärts volontiert.