Inland

Berliner Tagebuch

von Uwe Knüpfer · 15. November 2012

Haben Sie gesehen, wie bedröppelt Angela Merkel gelacht hat, als Löws Jungs gegen Schweden 4:4 verloren?  Vielleicht schwante ihr was. Fußball und Politik sollen ja viel gemein haben. Momentan überhöhen Spielbeobachter Merkels Regierungskunst ähnlich wie der TV-Kommentator die Leistung der deutschen Elf bis zur 62. Minute. Merkel weiß, sie muss noch zehn Monate durchhalten – aber ohne Özil, Klose, Götze, Reus. Und ihre Ersatzbank ist leer. 

Wer weiß, vielleicht wird Merkels Spiel ja früher abgepfiffen. Am 1. November hat Hans-Dietrich Genscher die SPD besucht. Der 85-Jährige kam in Begleitung des 80jährigen Gerhart Baum, eines überzeugten Sozialliberalen – „nicht in Vorbereitung veränderter Regierungskoalitionen“, wie Sigmar Gabriel beteuerte: „Aber wir wollen‘s auch nicht ausschließen.“

Genscher sprach zu Europa. Die EU sei eine „Zukunftswerkstatt für die ganze Welt“, fuhr er allen über den Mund, die derzeit locker über Sein oder Nichtsein Europas parlieren. Nebenbei räumte Genscher mit der neuen „Dolchstoßlegende“ auf, die Regierung Kohl/Genscher habe einst die Zustimmung europäischer Nachbarn zur deutschen Einheit mit dem Verzicht auf die D-Mark erkauft. In einem Memorandum vom 26. Februar 1988 (!) habe er den Weg zur Währungsunion skizziert – eineinhalb Jahre vor dem Fall der Mauer.
„Staatskunst“ mahnte Genscher jetzt an. Europapolitischer Stillstand wäre Rückschritt. „Es würde kalt, eiskalt werden für das Land in der Mitte Europas“, sollte die EU zerfallen. Der Altmeister tadelte, „wie manche über die Griechen sich ausgelassen haben“. Er nahm den Namen des FDP-Vorsitzenden Philipp Rösler nicht in den Mund. 

In FDP-Kreisen wird schon seit längerem nicht mehr darüber spekuliert, ob Rösler am Ende sei, sondern nur darüber, gegen wen er wann ausgetauscht wird. Meistens fallen dann die Namen Lindner und Brüderle. Bei der SPD brachte Genscher noch jemanden ins Gespräch. Jetzt gehe es um dermaßen viel: „Da macht es ja Spaß, wieder mitzumachen!“ 

Autor*in
Uwe Knüpfer

war bis 2012 Chefredakteur des vorwärts.

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