Einen Sumpf trocken zu legen, ist eine große Aufgabe. Der Mafia Herr zu werden, ist eine viel größere. Sie ist Teil der herrschenden Macht. Sie hat einen wesentlichen Anteil an der Weltwirtschaft. Das Buch „Bleiernes Schweigen“ erzählt vom grenzenlosen Verbrechen.
Man kennt die Namen. Falcone und Borsellino. Die beiden italienischen Juristen wurden ermordet, als Strafe und Warnung für alle, die es ernst meinen mit dem Kampf gegen das organisierte Verbrechen, die in keinem von Verbrechern unterminierten Staat leben wollen. Mit ihren Morden ist längst nichts abgeschlossen. Hinter den Tätern stehen andere Täter.
Vor diesem Hintergrund liest sich „Bleiernes Schweigen“ als Tatsachenroman. Die Hauptfigur und ihr persönliches Umfeld mögen erfunden sein. Doch dieses Ensemble ist eingebettet in eine faktenbetonte Schilderung italienischer Wirklichkeit jenseits touristischer Wahrnehmung. Die Autoren, Patrick Fogli, Informatiker und Schriftsteller und Ferruccio Pinotti, Journalist und Essayist, sind auf genaue Faktenrecherche im gesellschaftlich-politischen Bereich spezialisiert. In „Bleiernes Schweigen“ schicken sie ihren Helden auf eine Spurensuche.
Journalist als Hoffnungsträger
Der Ich-Erzähler des Romans ist ein literarisierender Journalist. Er schreibt Kinderbücher und sieht das – genau wie seine Familie – als Flucht vor der Wirklichkeit. Journalismus bedeutet für sie alle, Einfluss auf die Gesellschaft zu nehmen, Gefahren einzuschätzen und mit ihnen leben zu lernen.
Doch der frühere Journalist hat sich dem Schreiben von Kinderbüchern zugewandt, als seine Frau Elena starb. Die gemeinsame Tochter Giulia musste er alleine großziehen. Hielt er den Tod seiner Frau zunächst für einen tragischen Autounfall, wird dem Protagonist bald deutlich, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Tod seiner Frau und ihren Recherchen um die Ermordung von Falcone und Borsellino gibt. Er selbst überlebte den Unfall, genau wie sein Vater Adriano, der hatte mit Elena zusammengearbeitete und ist seit dem Unfall querschnittsgelähmt.
Suche nach den Mördern
Tochter Giulia, schon erwachsen und selbst auf dem Wege zum Journalistik-Studium an einer renommierten amerikanischen Universität, fordert ihren Vater heraus. Er soll sich nicht verkriechen, sondern den Weg zum politischen Enthüllungsjournalismus zurückfinden. Als er erkennt, dass der Tod seiner Frau ein Mafia-Verbrechen ist, entwickelt das Geschehen eine nicht vorhersehbare Eigendynamik.
„Du musst wissen, wann Schluss ist“, hat Adriano auf der letzten gemeinsamen Fahrt mit Sohn und Schwiegertochter Elena letzterer vorgehalten. Nun gelingt es ihm selbst nicht mehr, sich daran zu halten. Und sein Sohn, der Ich-Erzähler - lernt, mit der Angst zu leben. Er will nun endlich wissen, welches Mafia-Geflecht sich mitten in der Gesellschaft, mitten in Wirtschaft, Bankenwesen und Politik eingenistet hat und wer die Schlüsselfiguren sind.
Die Schar der Lesenden erhält an der Seite des Ich-Erzählers Aufschlüsse, die sich nicht nur auf Italien beziehen und die Geschichte ist durchweg spannend erzählt. Doch wie in der Realität heißt es, sich durch ein Gewirr unterschiedlicher Perspektiven zu kämpfen und mit Namen umzugehen, deren Bedeutung man erst nach und nach entschlüsselt. Das gilt letztlich auch für die Figur des namenlosen Ich-Erzählers. Manchmal ist es verwirrend, dem zu folgen und das erschwert die Lektüre natürlich. Trotzdem: Es lohnt den Aufwand.
Patrick Foglio, Ferrucio Pinotti: „Bleiernes Schweigen“. Aus dem Italienischen von Verena von Koskull. Mit einem Nachwort von Jürgen Roth, Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, Berlin 2012, 623 Seiten, 22,99 Euro, ISBN 978-3-351-03387-3
ist freie Autorin, Vorstandsmitglied des Verbands deutscher Schriftsteller im ver.di-Landesverband Berlin sowie stellvertretende Vorsitzende des Kulturwerks Berliner Schriftsteller e. V.