In Berlin mochte "die Musik spielen", aber an Rhein und Ruhr wurde unsere Demokratie geprägt.
Noch kurz vor der Auflösung des Landtags wurden Pläne beraten, ein Haus der Geschichte für Nordrhein-Westfalen zu gründen. Aber hat Nordrhein-Westfalen eine Geschichte? „Wir haben vom Paradies geträumt und wachten auf in Nordrhein-West-falen“, sagte Joachim Gauck zum Anlass des zehnten Jahrestags des Mauerfalls. NRW steht offensichtlich mehr für Nüchternheit als für historisches Pathos.
Auf der Suche nach einer politischen Lösung für das Ruhrgebiet hatte die britische Labour-Regierung 1946 dieses Land aus den beiden früheren preußischen Provinzen Rheinland („Nordrhein“) und Westfalen geschaffen. London wollte damit einen Zugriff der Sowjetunion auf das Ruhrgebiet ebenso wie die Abtrennung eines „Ruhr-Staats“ von Deutschland nach den damaligen französischen Plänen verhindern. Die Gründung NRWs fiel mit dem Beginn des Kalten Kriegs und der Auflösung Preußens durch die Alliierten zusammen.
Mit der Gründung des Landes wollten die Briten das historische Konfliktpotenzial des Ruhrgebiets entschärfen, der früheren „Waffenschmiede des Reichs“. 1923 hatte die französisch-belgische Ruhr-besetzung das nationale Drama des Ruhrkampfs ausgelöst, der zu einer Hyper-inflation führte und, fernab in München, zum Hitlerputsch.
Die Einführung der Mitbestimmung in der Eisen- und Stahl-industrie 1951 beendete einen jahrzehntelangen Klassenkampf an der Ruhr, und durch den Beitritt der Bundesrepublik zur Montanunion im Jahre 1952 wurde die Ruhr zum Auslöser der europäischen Einigung. Bonn, die Hauptstadt der Bundesrepublik, lag am Rhein, und mit dem Satz „Bonn ist nicht Weimar“ verband sich die Vorstellung, dass das größte Land der BRD gleichsam das Musterland der neuen westdeutschen Demokratie sei.
Bollwerk der Demokratie
Dabei wird oft übersehen, dass NRW seine historischen Wurzeln in der preußischen Demokratie der Weimarer Republik hat. Mit der Entstehung des rheinisch-west-fälischen Industriegebiets hatte sich bereits im Kaiserreich das wirtschaftliche Schwergewicht Preußens vom Osten in den bevölkerungsreichen Westen verlagert. Nach dem Sturz der Hohenzollernmonarchie und der Einführung des demokratischen Wahlrechts befand sich auch der politische Schwerpunkt Preußens an Rhein und Ruhr. Bereits im Kaiserreich hatten übrigens die Sozialdemokraten Ebert und Scheidemann ihre Reichstagsmandate in Elberfeld und Solingen gewonnen.
Anders als im Reich konnten sich die demokratischen Parteien der Weimarer Koalition, die SPD, das katholische Zentrum und die linksliberale DDP, in den Regierungen Preußens unter Otto Braun (SPD) von 1920 bis 1932 fast durchgängig behaupten. Die preußische Demokratie hatte ihren Rückhalt vor allem in Berlin, im Rheinland und in Westfalen. Trotz starker ideologischer Differenzen zeichneten sich die demokratischen Parteien Preußens durch eine pragmatische und kompromissbereite Politik aus.
Durch die Demokratisierung der Verwaltung, die der westfälische Sozialdemokrat und Innenminister Carl Severing nach dem Kapp-Putsch 1920 eingeleitet hatte, und durch die Abwehr eines gewalttätigen politischen Extremismus galt Preußen als „Bollwerk der Demokratie“. Aus der preußischen Demokratie ging auch der Kölner Oberbürgermeister und Vorsitzende des preußischen Staatsrats hervor, der damalige Zentrumspolitiker und spätere CDU-Bundeskanzler Konrad Adenauer.
Der Westen gegen Hindenburg
Unterschiedliche politische und konfessionelle Mentalitäten führten dazu, dass bei der Wahl des Reichpräsidenten nach dem Tod Eberts 1925 der Kandidat der nationalen Rechten, Paul von Hindenburg, mit 48,3 Prozent knapp vor dem gemeinsamen Kandidaten der Weimarer Demokraten, dem Kölner Zentrumspolitiker und früheren Reichskanzler Marx siegte, der 45,3 Prozent erhielt.
Bei dieser Wahl, der in der Geschichte der Weimarer Republik eine Schlüsselrolle zufiel, hatte in den östlichen Wahlkreisen Deutschlands die Mehrheit für Hindenburg gestimmt, in den westlichen und südwestlichen Wahlkreisen dagegen die Mehrheit für den demokratischen Kandidaten Marx. Noch bei der letzten freien Reichstagswahl im November 1932, bei der die NSDAP im Reich stärkste Partei mit einem Anteil von 33,1 Prozent wurde, lag das Zentrum in der Rheinprovinz und in Westfalen mit 33,2 bzw. 28,8 Prozent deutlich vor den Nazis mit 23,2 und 22,9 Prozent.
lehrte Geschichte an der Universität Münster. Er ist Autor des Buches „Preußen im Westen. Der Kampf um den Parlamentarismus in Rheinland und Westfalen 1789 – 1947“