Kultur

Die Schattenmacht

von Anina Kühner · 12. November 2012

Der amerikanische Künstler Mark Lombardi schrieb: „Du sollst dir ein Bild machen von denen, die behaupten, deine Götter zu sein.“ Diesen Versuch unternimmt Hans Jürgen Krysmanski mit seinem neuen Buch über die scheinbar uneingeschränkte Macht der weltweit Reichsten – mit erschreckenden Ergebnissen.

Dass die Kluft zwischen Arm und Reich immer weiter wächst, ist keine Neuigkeit. In welch rasantem Tempo sich allerdings der Abstand zwischen dem wohlhabendsten 0,1 Prozent der Weltbevölkerung und den restlichen 99,9 Prozent vergrößert, ist kaum zu fassen. Der Soziologe Hans Jürgen Krysmanski hat sich der Schattenwelt der Milliardäre wissenschaftlich genähert und ihr Machtpotential ergründet. Die Zahlen sind erschreckend: Dem Autor zufolge besitzen die 63.000 reichsten Menschen ein Privatvermögen, das dem Bruttoinlandsprodukt der gesamten Weltwirtschaft entspricht.

Es ist ein unheimliches Bild, das der Soziologe von der Geldelite zeichnet: Wie losgelöst vom Rest der Gesellschaft führen sie ein Leben zwischen den Kontinenten, sind überall und nirgendwo zu Hause; stets bleiben sie unter sich. Auf Luxusyachten kreuzen sie die Weltmeere, kaum fassbar und doch mit schier unbegrenztem ökonomischem und politischem Einfluss. Lakonisch bilanziert Krysmanski: „So manche Yacht ist teurer als ein amerikanischer Präsident.“

Die Privatisierung der Wissenschaft

Dem Autor zufolge verläuft die Klassengrenze nicht zwischen den „Wissens- und Wirtschaftsmächtigen“ auf der einen und der einfachen arbeitenden Bevölkerung auf der anderen Seite. Vielmehr sieht er die Kluft zwischen einer superreichen Geldelite und dem Rest der Welt. Dabei ist es unerheblich, wie Milliardäre zu Reichtum gekommen sind: Ob durch Internet, Spekulation oder organisiertes Verbrechen – ihr Einfluss bleibt derselbe.

Wissenschaftseliten, Geldeliten (so genannte „Wealth Manager“) und eine ganze Heerschar von anderen Dienstleistern sorgen laut Krysmanski für die Sicherung des Vermögens der Superreichen. Dabei fürchtet er vor allem langfristig um die Unabhängigkeit der Wissenschaft: Insbesondere in den USA gründeten in letzter Zeit immer mehr Milliardäre so genannte „Think Tanks“, in denen renommierte Wissenschaftler im Sinne des jeweiligen Geldgebers forschen.

Ergebnisse jener „Think Tanks“ wiederum werden oft auch völlig unkritisch von Medien übernommen und verbreitet, weil der „mächtige Geldgeber im Hintergrund“ nicht bekannt ist. So stehen hinter „Human Rights Watch“ beispielsweise in erster Linie die Milliardäre George Soros, Bill Gates und Steven Spielberg. Auch in Europa wird die Praxis privat finanzierter Institute, die unabhängige Universitäten ersetzen, immer gängiger.

Moderne Lehnsherren

Der globalen Geldelite ist nicht entgangen, dass eine weitere Finanzkrise sie große Teile ihres Vermögens kosten könnte. Um einen realen Gegenwert für den Reichtum auf dem Papier zu erlangen, haben laut Krysmanski in den letzten Jahren viele Milliardäre begonnen, weltweit Land und Immobilien aufzukaufen. „Es ist eine umfassende Form der Landnahme“, stellt der Autor klar und ergänzt, dass man in diesem Sinn von Verhältnissen wie zu Zeiten des Feudalismus sprechen könnte – mit dem Unterschied, dass der Adel damals greifbar war.

Heute kaufen Milliardäre riesige Grundflächen in Südamerika oder China auf. Andere bemächtigen sich ganzer Stadtteile von Metropolen wie London oder Paris. All das geschieht im Stillen. Die Bevölkerung vor Ort nimmt keine Notiz davon, weil sie nicht transparent über das Vorgehen der Superreichen informiert wird. Der Autor nennt diese stillen Megaeigentümer „sanfte Lehnsherren“ und kommt der Realität damit wohl am nächsten.

Geld regiert die Welt

Hans Jürgen Krysmanski zeigt: Die Geldelite, auch „Ultra-High-Network-Individuals“ genannt, beeinflusst die globale Politik, die Ökonomie; sie bestimmt über das Wohl und Wehe ganzer Staaten, indem sie riesige Spenden gewährt oder vorenthält oder gegen Währungen spekuliert, um den eigenen Reichtum noch zu erweitern. Es könnte eine unheimliche Utopie sein, wäre der Zustand nicht längst Realität.

Dieses Buch ist wichtig. Es öffnet dem Leser die Augen über die wahren Machtverhältnisse in dieser globalisierten Welt und offenbart Wohlstandsunterschiede, die selbst kritisch-informierte Menschen eher schockieren dürften. Und es fordert Transparenz ein. Jeder sollte wissen dürfen, wer wirklich historische Entscheidungen fällt: Gewählte Parlamente oder schwerreiche Einzelpersonen? Am Ende bleibt die Erkenntnis: Geld regiert die Welt. So einfach und simpel ist diese Tatsache, dass man fast resignieren möchte.

Hans Jürgen Krysmanski: „0,1% – Das Imperium der Milliardäre“, Westend Verlag, Frankfurt am Main 2012, 265 Seiten, 19,99 Euro, ISBN 978-3-86489-023-9

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Anina Kühner

studiert Germanistik und Buchwissenschaften in Mainz. Im Sommer 2012 absolvierte sie ein Praktikum beim vorwärts.

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