Drei deutsche Wettbewerbsbeiträge, ein Stummfilm und ein wunderbarer Teddy
Zwischen Welten (Wettbewerb)
Der Blick auf die Kinoleinwand gerade während der Berlinale eröffnet immer wieder Welten, die uns eigentlich verschlossen sind oder die wir bewusst ausblenden.
Wer hat eigentlich von uns abgespeichert, dass seit 1992, seit dem Beginn der Auslandseinsätze der Bundeswehr, 103 deutsche Soldaten ums Leben gekommen sind, davon 36 durch Fremdeinwirkung?
Feo Aladags Film Zwischen Welten zeigt das Leben der Soldaten in Afghanistan: ganz normale Männern mit Ängsten und Stärken, die fern der Heimat ihren Alltag zu organisieren versuchen.
Wie schnell die Stimmung eines vermeintlichen Abenteuercamps mit Lagerfeuer umschlägt in die erbarmungslose Welt des Krieges mit Schnellfeuer und wie dabei jedes Lächeln verschwindet, erzählt dieser Wettbewerbsfilm mit Bildern, die man sich einprägt:
Laufende lachende Kinder neben den übergroßen hellen Landfahrzeugen der Bundeswehr und kurz darauf geplante Hinrichtungen auf offener Straße. Die breitschultrigen Teutonen, die sich neben den afghanischen Kämpfern als Giganten gebärden, aber von ihnen als Feiglinge tituliert werden, weil sie sich nicht unnötig Gefahren aussetzen dürfen. Die Barrieren zu den Einheimischen blieben nahezu unüberwindbar, gäbe es nicht die Übersetzer, die als „Zwischenweltler“ fungieren und sich damit nirgendwo mehr zugehörig fühlen. Wenn die Bundeswehr Afghanistan verlässt, müssen wir bereit sein, die einheimischen Zivilbeschäftigten bei uns aufzunehmen, denn sonst machen wir uns weiter schuldig.
Kreuzweg (Wettbewerb)
Die Priesterbruderschaft Pius X. betreibt in Deutschland fünf Privatschulen, die staatliche Zuschüsse erhalten. Die Brüder gelten als katholische Traditionalisten. In dem Film Kreuzweg von Dietrich Brüggemann geht es um eine fiktive Priesterbruderschaft: St. Paulus. Der Alltag der Kinder, die in Familien aufwachsen, für die Sünden, Vergebung und Opfer mehr sind als nur Worte und in denen jede Form von moderner Musik satanische, zu hemmungslosem Tanzen verführende Elemente birgt, erscheint uns liberalen Stadtmenschen völlig irreal.
Und so brandet bei eigentlich tieftraurigen Szenen anfangs Lachen auf, weil man nicht wahrhaben möchte, dass solche Strukturen im Deutschland des Jahres 2014 völlig real sind. Und ich behaupte: Das gleiche Publikum hätte nicht gelacht, wenn junge islamische Deutsche von einem Hassprediger als Kämpfer Gottes eingeschworen worden wären.
Doch in Kreuzweg geht es um ein Mädchen, das sich für ihren Glauben aufopfern will, aber gleichzeitig merkt, dass das Begehren einem Jungen gegenüber erwacht. Um ihre Gefühle zu verbergen lügt sie. Der Film, der in die 13 Stationen des Kreuzweges aufgeteilt ist, verurteilt ganz bewusst niemanden, er beobachtet und stellt Entwicklungen dar - jeder kann sich sein Bild machen.
Wie weit sind wir bereit, tolerant zu sein? Diese Frage zu beantworten, wird durch Kreuzweg nicht leichter gemacht, aber der Film macht deutlich, dass wir uns als Gesellschaft diese Frage immer wieder neu stellen müssen.
Die Geliebten Schwestern (Wettbewerb)
Erst nach 170 Minuten kommen die Geliebten Schwestern von Dominik Graf zu ihrem filmischen Ende und man hat eine Zeitreise zu Friedrich Schiller hinter sich, die einem nicht nur ein überaus spannendes Dreiecksverhältnis, Zweckehen und Adlige in Hinterhäusern offeriert, sondern deutlich macht, dass die Geschwisterliebe trotz alles Schwüre in Schaffhausen nicht immer alles kitten kann. Die Leichtigkeit der Erzählung, die Unbeschwertheit, über die sich dann doch schnell ein Schleier zieht, daraus wird bei Dominik Graf zwar kein bürgerliches Trauerspiel in fünf Aufzügen, aber auf jeden Fall ein unterhaltsames sehenswertes Sittengemälde.
Die Leichtigkeit der Erzählung, die Unbeschwertheit, über die sich dann doch schnell ein Schleier zieht, daraus wird bei Dominik Graf zwar kein bürgerliches Trauerspiel in fünf Aufzügen, aber auf jeden Fall ein unterhaltsames sehenswertes Sittengemälde.
Das Cabinet der Dr. Caligari (Berlinale Classics)
Am 27. Februar 1920 wurde in Berlin im Marmorhaus erstmalig das Cabinet des Dr. Caligari von Robert Wiene gezeigt. Nach fast 94 Jahren und einer aufwändigen Restaurierung gab es nun im Rahmen der Berlinale eine Wieder-Vorführung in der Philharmonie mit John Zorn an der Orgel. Und wie gebannt erlebten die Zusehenden die 73 Minuten dieses Stummfilmklassikers. Die expressionistischen Kulissen, die überschminkten Gesichter, die Ausdrucksstärke der Blicke und Gesten und die blutrünstige Geschichte, die Wahnvorstellungen und Irrsinn beinhaltet, all das zieht einen zusammen mit der Live-Musik völlig in den Bann. Der Schlafwandler, der sich nächtens mit dem Messer auf den Weg macht - mit diesem Archetypus ließe sich auch heute noch gut Kino machen. Gut, dass dieses Spektakel im Kino Babylon Ende Februar noch einmal wiederholt wird und auch arte mitgeschnitten hat.
Hoje Eu Quero Voltar Sozinho (Panorama, Teddy-Programm)
Ein Lied geht uns derzeit nicht mehr aus dem Kopf. There´s Is Too Much Love von Sebastian & Belle.
Warum? Weil der wunderschöne brasilianische Coming-Out-Film Hoje Eu Quero Voltar Sozinho – The Way He Looks vom Jugendfilm-Spezialisten Daniel Ribeiro (Gläserner Bär 2008) von der Liebe erzählt, die einen blinden Jungen voll erwischt. Ob sie erwidert wird?
Da dieser Film nach zwei eher schwermütigen Werken um 22.45 Uhr auf dem Programm stand, war er gutes, dringend notwendiges Gegengift und beschwingte unseren Heimweg. Er wurde damit zum Lieblingsfilm des Rezensenten auf der diesjährigen Berlinale…..