Carsten S. hat im Münchener NSU-Prozess den Mitangeklagten und ehemaligen NPD-Funktionär Ralf Wohlleben schwer belastet. Ob die Hauptangeklagte Beate Zschäpe von seinen Ausführungen be- oder entlastet wurde, blieb am achten Verhandlungstag noch unklar. Auf Carsten S. kommen weitere Fragen zu.
Begonnen hatte der Verhandlungstag mit erneuten Diskussionen um die sogenannte 129er-Liste. Personen, die auf dieser Liste stünden, sollten ausgeschlossen werden, war von den Nebenklägern gefordert worden. Richter Götzl lehnt dies jedoch ab. Als Oberstaatsanwältin Anette Greger mitteilte, dass auf der aktuellen Liste 500 Personen stünden, die man schlecht ausschließen könne, war die Empörung groß. Anwälte und Nebenkläger kritisierten, dass sie darüber nicht informiert worden sein. Bundesanwalt Diemer sicherte zu, dass auch diese Liste, die ohne Bedeutung sei, zur Verfügung gestellt werde.
Faszination für Waffen, Uniformen und das Dritte Reich
Nachdem die Aussage von Carsten S. in der vergangenen Woche weit hinter dem zurück geblieben, was Richter Manfred Götzl und auch die Bundesanwaltschaft erwartet hatten, kündigte der 33-Jährige an diesem Dienstag jedoch an, auspacken zu wollen: „Ich bin an einem Punkt angekommen, an dem ich reinen Tisch machen möchte.“ Er habe erkannt, dass er sich seiner Verantwortung stellen und erzählen müsse, wie es war, so Carsten S. weiter.
Richter Götzl hatte vergangene Woche den wegen Beihilfe zu neun Morden mitangeklagten Carsten S. ermahnt, dass er schon deutlich mehr berichten müsse. Sein Verhalten werde im Strafmaß bewertet werden, das hatte wohl gefruchtet.
Carsten S. begann mit Erinnerungen an seine Jugend, die erklären sollten, wie er in die rechte Szene hineinrutschen konnte. Von seiner Faszination für Waffen, Uniformen und das Dritte Reich erzählte er und von jungen Männern aus der rechten Szene, in die er „verschossen“ gewesen sei. Bei einigen seiner Erinnerungen bleibt unklar, warum er sie berichtete.
Als Carsten S. auf das Frühjahr 2000 zu sprechen kam, wurde er mehrfach von Weinkrämpfen geschüttelt. Damals hatte er im Auftrag von Ralf Wohlleben dem NSU-Trio Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos eine Waffe vom Typ Ceska besorgte, mit der später neun Menschen ermordet worden waren. Von Wohlleben habe er eine Kontaktadresse bekommen und dort eine deutsche Waffe bestellt. Er habe dann allerdings das tschechische Modell Ceska mit Schalldämpfer erhalten. Den habe er erst wegwerfen wollen, sich aber nicht getraut, weil ja das Gewinde vorne am Lauf sichtbar gewesen sei. Das hätte den beiden Uwes (Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos) negativ auffallen können. Die beiden hätten auch auf genügend Munition bestanden, mindestens 50 Schuss. So viel Munition habe der Händler jedoch nicht gehabt.
Die Waffe habe er dann Wohlleben gezeigt. Der habe den Schalldämpfer aufgeschraubt und dann die Waffe auf ihn gerichtet und gelacht. „Da bin ich erschrocken und habe gedacht, damit zielt man doch nicht auf Menschen“, sagte Carsten S.
Weiterer Anschlag in Nürnberg?
Im März, April 2000 habe er sich mit dem Trio in Chemnitz zur Waffenübergabe in einem Café getroffen. Die seien nicht begeistert gewesen ihn zu sehen, weil er ein Szene Pullover getragen habe. Den habe er dann ausgezogen. Das NSU-Trio habe modische Outdoor-Jacken getragen und Rücksäcke dabei gehabt. Zunächst habe er mit den beiden Uwes allein am Tisch gesessen. Die hätten geprahlt: „Wir sind immer bewaffnet“, weil sie ja gesucht würden. Carsten S. war sich nicht sicher, ob sie sogar von Maschinenpistolen sprachen.
Dann hätten die beiden berichtet, dass sie eine Taschenlampe in einem Lebensmittelladen in Nürnberg abgestellt hätten. Carsten S. konnte nicht weiter sprechen, er schüttelte sich unter Tränen. Was sie damit meinten, sei ihm zunächst unklar gewesen, später habe er den Gedanken gehabt, dass es eine Bombe gewesen sein könnte. Diesen Gedanken habe er aber „weggeschoben“. Im Café erzählten die beiden Uwes jedoch nichts weiter, denn in diesem Moment sei Zschäpe an den Tisch gekommen. Böhnhardt habe „psst“ gemacht, offenbar habe Zschäpe nichts davon hören sollen.
Ob dies jedoch tatsächlich eine Entlastung von Beate Zschäpe ist, ist noch unklar. Entweder sollte sie von den Anschlägen von Böhnhardt und Mundlos nichts wissen oder sie sollte nicht mitbekommen, dass sie sich damit brüsten.
Carsten S. setzte seine Aussage mit dem Bericht über ein Telefonat fort, dass Wohlleben mit dem NSU-Trio in seinem Beisein geführt habe. Wohlleben habe anschließend gesagt: „Die haben jemanden angeschossen.“ Carsten S. habe da nur gedacht, hoffentlich nicht mit der Waffe, die er besorgt habe. Die Vernehmung musste schließlich auf Mittwoch vertagt werden, da Carsten S. zu erschöpft war.
Ein möglicher Taschenlampen-Anschlag in Nürnberg und ein angeschossener Mann sind für diesen Zeitraum, also vor September 2000, bislang nicht bekannt bzw. noch nicht dem NSU zugeordnet. Bundesanwalt Herbert Diemer kündigte auf einer Pressekonferenz an, dass er Ermittlungen aufnehmen werde.